Die Lübecker Bürgerschaft hat heute den ersten „doppischen“ Haushalt mit den Stimmen von SPD, Grüne und Die Linke beschlossen. Die Fraktionen von CDU, Bürger für Lübeck (BfL) sowie FDP stimmten dagegen, ein fraktionsloses Mitglied enthielt sich.
Der Haushalt 2010 weist einen Jahresfehlbetrag von knapp 123 Millionen Euro auf. Dieses Saldo ergibt sich aus beabsichtigten Ausgaben (neu: Aufwendungen) in Höhe von 643 Millionen Euro und Einnahmen (neu: Erträgen) von knapp 520 Millionen Euro. Darin enthalten sind fast 20 Millionen so genannte Haushaltsausgabereste des Jahres 2009, die bei den früheren kameralistischen Haushalten neben dem eigentlichen Haushalt über „Restekonten“ bewirtschaftet wurden. Durch die Umstellung von der seit Jahrhunderten praktizierten Kameralistik der Verwaltung auf die neue „Doppik“, die kaufmännische Buchführung, ist diese Verbuchung aber nicht mehr möglich. Abzüglich der Haushaltsausgabereste beträgt der eigentliche Jahresfehlbetrag rund 103 Millionen Euro.
Sehr hoch sind auch die Ausgaben für Investitionen und Finanzierungstätigkeiten: sie liegen bei gut 143 Millionen Euro.
Bürgermeister Bernd Saxe hatte in seiner Haushaltsrede zuvor darauf hingewiesen, dass sich die Welt in einer gewaltigen Wirtschafts- und Finanzkrise befinde, der größten Krise, die Deutschland seit 1949 erlebt hat. Diese Krise sei auch an der Hansestadt Lübeck nicht spurlos vorübergegangen.
Dennoch habe sich der Arbeitsmarkt in Lübeck als erfreulich robust erwiesen. So sei die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten auf hohem Niveau ziemlich konstant geblieben: „Mit rund 80.000 derartigen Arbeitsverhältnissen haben wir hier einen Bestand, der deutlich höher ist als noch vor einigen Jahren.“ Auch die Arbeitslosigkeit – in Spitzenzeiten bei 20 Prozent - ist im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht gesunken, sie liegt jetzt bei 12,1 Prozent. Das zeige, dass die über Jahre konsequent betriebene Wirtschaftsförderpolitik mit intensiver Bestandspflege und engagierten Ansiedlungsbemühungen sich auszahle. Allerdings betonte Saxe, „ein guter Ruf als wirtschaftsnaher Standort ist mühsam aufgebaut, aber schnell verspielt. Die Organe der Stadt sollten sorgfältig darauf achten, hier nichts anbrennen zu lassen!“
Nachdem Bürgermeister Saxe die wirtschaftliche Lage der hiesigen Wirtschaft und der städtischen Unternehmen kurz geschildert hatte, stellte er die vorgelegte Haushaltssatzung 2010 vor. Auch wenn sich die wirtschaftliche Lage der Stadt, gemessen an den Arbeitsmarktdaten und Umsatzzahlen, relativ entspannt darstelle, dürfe nicht übersehen werden, dass sich die Haushaltslage in kürzester Zeit in einem Maße verschlechtert, wie Lübeck es seit 1949 nicht erlebt habe.
„Noch am Ende des Jahres 2008, also vor gut zwölf Monaten, konnten wir einen Jahresabschluss vermelden, der – zum ersten Mal seit vielen Jahren – einen leichten Überschuss auswies. Das heißt: Wir hatten in diesem Jahr nicht mehr Geld ausgegeben, als wir eingenommen hatten. Dazu hatte sicher die konjunkturelle Situation beigetragen, aber auch eigene konsequente Sparbemühungen, eine jahrelange Konsolidierungspolitik haben geholfen, dies schöne Ergebnis möglich zu machen.“
Nun, ein Jahr später müsse er der Bürgerschaft einen Haushalt für das Jahr 2010 präsentieren, der ein Defizit von mehr als 100 Millionen Euro ausweise. Und damit den höchsten Unterschuss, den die Bürgerschaft jemals in ihrer Geschichte zu beraten hatte.
Doch wie, so fragte Saxe, konnte es dazu kommen? Die Wirtschaftskrise habe natürlich dazu ganz erheblich beigetragen. So brachen die Gewerbesteuereinnahmen um etwa 40 Prozent ein, von ca. 82 Mio. in 2008 auf nur noch 50 Mio. Euro in 2010. Zudem ist der Anteil an der Einkommensteuer gegenüber 2008 um 12 Prozent zurückgegangen. Erheblich gestiegen sind auch die Kosten für die Zahlungen an Hartz IV-Empfänger. Auch die Kosten der Jugendhilfe werden 2010 um ca. 20 Prozent höher ausfallen als 2008.
Aber neben diesen krisenbedingten Faktoren habe es eben auch eine ganze Reihe von Entscheidungen des Bundes und des Landes gegeben, die sich sehr unmittelbar auf den Haushalt der Stadt auswirken und Lübeck – wie alle anderen Kommunen – immer tiefer in die Finanzkrise stürzen.
Als Beispiele nannte der Bürgermeister unter anderem den Eingriff des Landes in den Kommunalen Finanzausgleich. Dadurch seien den Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein insgesamt 480 Millionen Euro weggenommen worden, ohne dass dafür an irgendeiner Stelle die zugesagte Kompensation erfolgt wäre. Auch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz des Bundes kritisierte Saxe: „Das beschleunigt nichts – außer den Weg der Städte und Gemeinden in das finanzielle Desaster. Allein in Lübeck führt es zu einem zusätzlichen Haushaltsloch von sechs bis sieben Mio. Euro. Daher sei es nichts anders als „Notwehr gegenüber dem Bund, wenn in Lübeck nun die Einführung einer Kulturförderabgabe geprüft wird!“, sagte Saxe.
Darüber hinaus seien etliche Gesetzesbeschlüsse von Bund und Land zwar fachlich und politisch richtig und begrüßenswert. „Die Pflicht zur Schaffung einer angemessenen Kinderbetreuung für unter 3-Jährige, das kostenlose dritte Kita-Jahr und die Ganztagsschulen werden auch von mir begrüßt. Aber es ist ein Skandal, dass Bund und Land derartige Gesetze immer wieder fröhlich beschließen – und sich dafür als Wohltäter feiern lassen -, und mit der Umsetzung und insbesondere der Finanzierung die Kommunen dann aber allein lassen!“
Die Städte, ob Lübeck oder andere, seien schon heute mit ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit am Ende, so Saxe: „Wir können auch noch so sinnvolle und wünschenswerte Maßnahmen nicht mehr aus eigener Kraft finanzieren!“
Da helfe es auch wenig, wenn auf Bundesebene darüber diskutiert werde, ob es einen „Rettungsschirm“ für Kommunen geben könne. Dazu müsse aber klar gesagt werden: „Diskussionen allein helfen uns nicht weiter. Beschlüsse, Entscheidungen sind erforderlich, wenn die Finanzlage der Städte aktuell und nachhaltig verbessert werden soll“, betonte Saxe.
Der vorgelegte Haushalt für das Jahr 2010 ist der erste in einer völlig neuen Systematik. Das neue System bringe nach Abschluss der Umstellung ein Mehr an Transparenz und Klarheit über die Vermögens- und Schuldenlage der Stadt, über ihre Verpflichtungen und Leistungen, erläuterte der Bürgermeister. Systembedingt könnten die kameralistischen Zahlen mit den doppischen eigentlich gar nicht verglichen werden. Zugleich sei die Umstellung der gesamten Verwaltung auf das neue System ist ein gigantischer Veränderungsprozess: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten völlig umlernen, müssten die Regeln und Funktionsweisen des alten, bekannten Systems über Bord werfen und ein neues System von der Pike auf erlernen.
Die doppelte Buchführung führt auch dazu, dass das gesamte Vermögen der Stadt in einer Art Inventur aufgenommen und bewertet werden muss. Ein schwieriges Unterfangen. Denn, so nannte Saxe einige Beispiele, „was ist eine Straße wert, was die Wakenitz? Mit welchem Wert kommt das Holstentor in die Bilanz, mit welchem die Kunstwerke im St.-Annen-Museum?“
Die wichtigste Frage, so der Bürgermeister, aber laute: wie hoch sind die Schulden der Stadt wirklich? „Bislang wussten wir um die Höhe der Darlehensverbindlichkeiten – derzeit 450 Millionen Euro. Schrecklich viel, aber so wenig wie schon lange nicht mehr. Wir kannten auch die Höhe der Kassenkredite – weitere ca. 300 Mio. Euro. Was wir nicht wussten war, welche Höhe denn die Pensionslasten haben, die über Jahre und Jahrzehnte aufgelaufen sind, aber bislang haushaltsrechtlich nie wirklich ermittelt werden mussten.“
Durch die Doppik wisse die Verwaltung nun: Die Pensionslasten betragen derzeit ca. 330 Mio. Euro und erhöhen sich in jedem Jahr um knapp 20 weitere Mio. Somit habe sich die bilanzielle Verschuldung der Stadt quasi von einem Tag auf den anderen scheinbar um knapp 50 Prozent erhöht. Scheinbar deswegen, weil diese Verpflichtungen ja auch bislang schon da waren, aber im alten, kameralistischen System verborgen blieben. „Die Doppik bringt auch hier mehr Klarheit.“
Abschließend dankte Saxe den Mitarbeitern der Verwaltung, für deren Engagement und Einsatz bei der Umstellung auf das neue kaufmännische Haushaltssystem. +++