Die Einwohnerversammlung nach § 16b Gemeindeordnung dient dazu, wichtige Angelegenheiten der Gemeinde zu erörtern. Damit diese Erörterung und die Erarbeitung von Vorschlägen und Anregungen zur weiteren Befassung in der Gemeindevertretung die Interessen der Einwohner angemessen abbildet, ist eine möglichst zahlreiche und repräsentative Teilnahme der Einwohner anzustreben. Sehr gering besuchte, in ihrer Zusammensetzung nicht repräsentative Einwohnerversammlungen, bilden die Interessenlage der Einwohner nur verzerrt ab. Sie können leicht von besser organisierten Gruppen dominiert und für deren Partikularinteressen missbraucht werden.
Die Lübecker Einwohnerversammlungen der letzten Jahre waren regelmäßig sehr gering besucht. In keiner einzigen erreichte die Teilnehmerzahl ein Prozent der Wahlberechtigten. In vier von sechs Fällen blieb die Teilnehmerzahl deutlich unter ein Promille der Wahlberechtigten.
Tabelle 1: Einwohnerversammlungen der Hansestadt Lübeck seit 2011 |
Datum | Wochentag | Ort | Teilnehmer (1) | Anteil an Kommunalwahlberechtigten in der Hansestadt Lübeck (2) |
24.06.2019 | Montag | Rathaus HL | 140 | 0,079% |
05.07.2016 | Dienstag | Rathaus HL | 61 | 0,034% |
03.11.2015 | Dienstag | Hansehalle | 386 | 0,219% |
04.02.2013 | Montag | Maritim Travemünde | 1270 | 0,722% |
18.06.2012 | Montag | Rathaus HL | 85 | 0,048% |
16.06.2011 | Donnerstag | Rathaus HL | 77 | 0,043% |
(1) Anwesende zum Zeitpunkt des TOPs „Anträge“ (2) Wahlberechtigte bei der Kommunalwahl am 06. Mai 2018: 175.725 |
Stärker besucht waren lediglich die Einwohnerversammlungen in 2015 und 2013. Dabei fällt auf, dass diese beiden bestbesuchten Einwohnerversammlungen nicht im Lübecker Rathaus, sondern an den im Vergleich zum Rathaus insbesondere mit PKW besser erreichbaren Veranstaltungsorten Hansehalle und Maritim Lübeck-Travemünde stattfanden.
Im Fall der außerordentlich gutbesuchten Einwohnerversammlung 2013 in Travemünde ging es vor allem um das ortsbezogene Thema der Bebauung des Grünstands mit dem „Segelcampus Mövenstein“.
Offensichtlich spielt die Erreichbarkeit für die Teilnahmeentscheidung der Einwohner eine wesentliche Rolle. Auf einer Einwohnerversammlung werden regelmäßig vor allem Einwohner aus der näheren Umgebung des Veranstaltungsorts vertreten sein.
Bei einer Einwohnerversammlung im Rathaus werden die Teilnehmer überwiegend aus der Lübecker Innenstadt kommen. Eine von Innenstadtbewohnern dominierte Einwohnerversammlung ist nicht repräsentativ, weil die Bevölkerung in der Innenstadt nicht repräsentativ für die Bevölkerung Lübecks ist.
| Lübeck | Innenstadt |
Einwohner | 220.629 | 14.070 |
Anteil Einwohner 0-17 Jahre | 15,1 | 10,5 |
Anteil Einwohner 18-64 Jahre | 62,0 | 74,5 |
Anteil Einwohner ü. 65 Jahre | 22,9 | 15,1 |
Anteil Ledige | 44,9 | 61,1 |
Anteil Verheiratete | 24,9 | 38,1 |
Anteil Ein-Personen-Haushalte | 52,2 | 70,7 |
Anteil Paare mit Kindern | 14,8 | 7,5 |
Anteil Alleinerziehende | 4,6 | 3,1 |
Kfz-Bestand/1.000 Einwohner | 443 | 368 |
Versorgungsquote Kindertagesstätten 31.12.2017 | 74,5 | 92,7 |
Der typische Innenstadtbewohner ist in erwerbsfähigem Alter und lebt allein. Seine Interessenlage dürfte je nach Gegenstand deutlich z.B. von einem Ehepaar mit kleinen Kindern abweichen. Abweichende Interessenlagen von Innenstadtbewohnern gegenüber den Bewohnern anderer Stadtteile liegen z.B. vor bei Verkehrsfragen, insbesondere bei der Beurteilung des PKW-Verkehrs, gegenüber den Bewohnern in Schlutup und Travemünde (je 500 PKW auf 1.000 EW, Innenstadt: 368).
Der vorliegende Antrag soll eine bessere örtliche Erreichbarkeit der Einwohnerversammlungen für die Bewohner anderer Stadtteile als der Innenstadt bewirken. Dadurch soll die Dominanz der Innenstadtbewohner gegenüber den bisherigen Einwohnerversammlungen im Rathaus reduziert werden.
Die Einwohnerversammlungen fanden bisher typischerweise werktags von 17 bis 20 Uhr statt. Etwa 80% der Beschäftigten haben Arbeitszeiten zwischen 7 und 19 Uhr.[1] 57% der abhängig Beschäftigten arbeiten am Wochenende nicht. Eine Verlegung der Einwohnerversammlungen auf das Wochenende soll eine bessere zeitliche Erreichbarkeit für in Vollzeit tätige, abhängig Beschäftigte (64.868 Personen zum 31.12.2017) bewirken.
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Arbeitszeitreport Deutschland 2016