1. Einleitung
Die Hansestadt Lübeck ist nach § 2 Abs. 2 und Abs. 4 des ÖPNV-G Aufgabenträgerin (AT) für den öffentlichen Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) in ihrem Gebiet. Zugleich ist die Hansestadt zuständige Behörde im Sinne der der VO (EG) Nr. 1370/2007 (im Folgenden VO 1370).
Die Hansestadt Lübeck bedient sich zur Verkehrserbringung ihres Verkehrsunternehmens SL und der LVG. Beide Verkehrsunternehmen erbringen derzeit den ÖSPV im Gebiet der Hansestadt Lübeck und erhalten hierfür einen Verlustausgleich über den Ergebnisabführungsvertrag mit der Stadtwerke Lübeck Holding (SWLH). Zum steuerlichen Querverbund der Stadtwerke Lübeck Holding GmbH (SWLH), bei dem die negativen Ergebnisse der Stadtverkehr Lübeck GmbH (SL) mit den positiven Ergebnissen der Stadtwerke Lübeck GmbH verrechnet werden, finden Sie nähere Ausführungen in der Vorlage VO/2019/08493.
Grundlage für die Verkehrserbringung ist die noch bis zum 31.12.2020 laufende Direktvergabe (Betrauung vom 01.01.2008 auf der Grundlage der Altmark-Trans-Rechtsprechung, Verlängerung der Betrauung vom 24.09.2009, Umwandlung in eine Direktvergabe an einen internen Betreiber vom 01.01.2011).
Da die Liniengenehmigungen für die Erbringung der direktvergebenen Verkehrsleistung zum 09.06.2020 auslaufen, und nach § 16 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) die Geltungsdauer der Genehmigungen die Laufzeit des öDA nicht überschreiten darf, soll der neu zu vergebende öffentliche Dienstleistungsauftrag – trotz Fortgeltung der Bestandsdirektvergabe – vor dem Ende der Laufzeit der geltenden Direktvergabe und mit Auslaufen der Geltungsdauer der Genehmigungen in Kraft treten.
Für den Zeitraum ab 10.06.2020 ergibt sich damit die Notwendigkeit, die SL erneut mit der Erbringung öffentlicher Verkehrsleistungen zu „betrauen“. Bereits mit dem Beschluss über den 3. RNVP am 27.03.2014 (VO/2014/01389) hatte die Bürgerschaft unter Beschlusspunkt 4 den Beschluss gefasst, dass nach Auslaufen der bestehenden Betrauung/Direktvergabe eine erneute Direktvergabe der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen an die Stadtverkehr Lübeck GmbH und die Lübeck-Travemünder Verkehrsgesellschaft mbH im Sinne der VO/2014/01370 vorzunehmen sei, soweit die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
Vor einer Direktvergabe muss entsprechend der nationalen und europäischen gesetzlichen Bestimmungen eine Vorabbekanntmachung im Europäischen Amtsblatt erfolgen. Die Bürgerschaft hat daher mit Beschluss vom 23.01.2019 die Verwaltung mit der Vorabbekanntmachung der Direktvergabe des öffentlichen Personennahverkehrs in der Hansestadt Lübeck beauftragt (VO/2019/07044).
Zugleich hat die Bürgerschaft erneut ihre Absicht bekräftigt, die SL auch künftig für die Dauer von zehn Jahren vom 10.06.2020 bis zum 30.06.2030 mit der Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen des öffentlichen straßengebundenen Personennahverkehrs (ÖSPV) im Stadtgebiet der Hansestadt Lübeck im Wege der Direktvergabe eines Öffentlichen Dienstleistungsauftrages (öDA) nach Art. 5 Abs. 2 VO 1370 zu betrauen.
Nach der entsprechenden Veröffentlichung im Europäischen Amtsblatt (Vorabbekanntmachung) begann eine dreimonatige Frist innerhalb derer andere Verkehrsunternehmen hierzu Nachfragen oder eigenwirtschaftliche Anträge hätten stellen können. Diese Frist ist am 07.03.2019 abgelaufen, ohne dass Nachfragen oder eigenwirtschaftliche Anträge bei der Stadt eingingen. Damit kann die beabsichtigte Direktvergabe nunmehr rechtlich gesichert vollzogen werden.
Die Vergabe dient der Sicherstellung der ausreichenden Verkehrsbedienung, die im 4. Regionalen Nahverkehrsplan definiert ist.
2. Begründung für die Direktvergabe
Die Hansestadt Lübeck hat als zuständige Behörde die Wahl zwischen der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an einen internen Betreiber oder an einen Dritten. An den internen Betreiber SL kann die Stadt den öDA direkt vergeben. An einen Dritten muss die Stadt den öffentlichen Dienstleistungsauftrag im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens vergeben.
Für die Direktvergabe an die SL sprechen mehrere Gründe (vgl. Beschluss vom 23.01.2019, Vorlage: VO/2019/07044):
- Die Hansestadt ist mittelbar über die Stadtwerke Lübeck Holding GmbH alleinige Eigentümerin der SL. In dieser Stellung hat die Hansestadt die Verantwortung für die weitere Existenz und künftige Entwicklung des Unternehmens. Die Hansestadt Lübeck hat Interesse am Erhalt und der Sicherung des Fortbestandes des Unternehmens, der Arbeitsplätze der dort beschäftigten Mitarbeiter und nicht zuletzt der im Unternehmen gebundenen Vermögenswerte.
- Die Hansestadt Lübeck sichert sich damit zugleich die unmittelbare Einflussnahme auf die Gestaltung des ÖPSV in ihrem Gebiet. Die hierdurch vermittelten Steuerungsmöglichkeiten gehen über die bloße Beauftragung eines fremden Unternehmens hinaus. Eine Direktvergabe an die SL verschafft der Hansestadt Lübeck somit größtmöglichen Einfluss auf den ÖPSV im Stadtgebiet.
- Ferner betreibt die SL seit vielen Jahren den ÖSPV im Stadtgebiet. Sie tut dies im Rahmen der Vorgaben der Stadt zuverlässig und auf hohem qualitativem Niveau. Die SL ist der bekannte und bewährte Betreiber und bietet Gewähr dafür, dass auch in der Zukunft die Verkehrsleistungen nach Maßgabe der Vorgaben der Stadt bestmöglich bedient werden. Die SL verfügt hierbei über alle dafür erforderlichen Ressourcen, in die sie entsprechende Investitionen getätigt hat. Darüber hinaus können Synergien zwischen kommunalen Unternehmen gehoben werden und die steuerliche Situation kann durch Nutzung des Querverbundes verbessert werden.
3. Inhalte des öffentlichen Dienstleistungsauftrages
Gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 VO 1370 sind im öDA die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen und geografischen Geltungsbereiche klar zu definieren sowie vorab und objektiv aufzustellende Parameter für die Ausgleichsleistungen einschließlich der Durchführungsvorschriften für die Zuordnung von Kosten und Einnahmen und Art und Umfang gewährter Ausschließlichkeitsrechte zu regeln:
- Die Hansestadt Lübeck legt als Aufgabenträger im öDA die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung zum Bedienungsangebot (Anlage 1 zum öDA) und seine Qualitätsmerkmale (Anlage 3 zum öDA) fest. Der öffentliche Dienstleistungsauftrag bildet damit die zu verankernden Anforderungen an die Verkehrsbedienung ab. Sie richten sich an den Vorgaben des 4. RNVP aus. Die maßgeblichen Anforderungen wurden grundlegend bereits mit der VAB beschrieben. Eine Anpassung der Bedienung an sich ändernde Umstände wird über die Änderungsklauseln geregelt, so dass auch während der Vertragslaufzeit eine Flexibilität und Weiterentwicklung möglich ist. Der Korridor für solche Änderungen wird dabei so festgelegt, dass in vergaberechtlicher Hinsicht der Gesamtcharakter des öDA erhalten bleibt.
- Für die Bemessung des Ausgleichs wurden Parameter definiert. Danach richtet sich der Ausgleich grundsätzlich nach dem im Wirtschaftsplan für das kommende Jahr definierten Soll-Ausgleich (§§ 9, 10 öDA). Dies kann bei sich geänderten Umständen (z.B. Leistungsveränderungen) nach Abschluss des Wirtschaftsjahres angepasst werden (§ 9 Abs. 5, 6 öDA). Die Zuordnung der Kosten und Einnahmen wird über die Anwendung der Durchführungsvorschrift (Anlage 5 zum öDA) sichergestellt. Aufgrund der im Rahmen der Trennungsrechnung ermittelten Ist-Kosten und Ist-Erlöse ergibt sich zuzüglich eines angemessenen Gewinnaufschlags und unter Berücksichtigung etwaiger positiver Effekte (§ 9 Abs. 1 öDA) der zulässige Ausgleich (sog. finanzieller Nettoeffekt). Die Gewährung des Ausgleichs erfolgt im Wege des Verlustausgleichs über den Ergebnisabführungsvertrag mit der SWLH im sogenannten Querverbund. Dabei werden die Gewinne der Versorgungssparten (Ergebnis SWL) mit den Verlusten des ÖPNV (Verluste SL) innerhalb der SWLH unter Berücksichtigung von steuerlichen Vorteilen nach dem Körperschaftssteuergesetz (KStG) verrechnet. Die Hansestadt Lübeck geht davon aus, dass aufgrund der Verrechnung keine eigenen Mittel über den Haushalt der Stadt Lübeck bereitgestellt werden müssen.
- Die Hansestadt gewährt der SL ein zeitlich, räumlich und sachlich begrenztes ausschließliches Recht. Dieses berechtigt die SL die Verkehrsleistung unter Ausschluss aller anderen solchen Betreiber zu erbringen
Gemäß Art. 5 Abs. 2 VO 1370 ist die Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen während der Laufzeit des öDA zu gewährleisten:
- Die Hansestadt Lübeck muss als zuständige Behörde eine dienststellenähnliche Kontrolle über die SL ausüben. Die SWLH ist alleinige Gesellschafterin der SL. Die Hansestadt Lübeck wiederrum ist alleine Gesellschafterin der SWLH. Die für die Direktvergabe erforderliche Kontrolle erfolgt daher vorliegend über die Kontrollkette HL-SWLH-SL. Die SWLH ist in der Rechtsform einer GmbH organisiert und damit infolge des umfassenden Weisungsrechts des Gesellschafters Stadt gegenüber der Geschäftsführung kontrollfähig. Die Kontrolle der SL wird über den bestehenden Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag mit der SWLH und die Rechte der Gesellschafterin gewährleistet.
- Ein interner Betreiber darf öffentliche Personenverkehrsdienste grundsätzlich nur innerhalb des Zuständigkeitsgebietes der zuständigen örtlichen Behörde ausführen; Verkehrsleistungen auf abgehenden Linien in benachbarte Gebiete sind aber zulässig. Die SL erbringt Verkehrsleistungen ausschließlich auf dem Gebiet der Hansestadt Lübeck, einschließlich abgehender Linien.
- Die SL erfüllt zudem die Verpflichtung, den überwiegenden Teil der Verkehre, die Gegenstand des beabsichtigten öDA sind, selbst zu erbringen.
Die Finanzierung der Ausgleichsleistungen erfolgt im Wege des Verlustausgleichs über den Ergebnisabführungsvertrag mit der SWLH (s.o.). Um den Bestand des steuerlichen Querverbundes während der Laufzeit der Direktvergabe sicherzustellen, hat die SL am 22.11.2019 eine verbindliche Auskunft bei dem zuständigen Finanzamt gestellt. Eine Antwort steht noch aus.