Nach den Regelungen in den Gesellschaftsverträgen der städtischen Gesellschaften erfolgt die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder für die Dauer von drei vollen Geschäftsjahren. Das Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, wird nicht mitgerechnet. Die Mitgliedschaft endet mit dem Ende der Gesellschafterversammlung, die über die Entlastung des Aufsichtsrates für das dritte Geschäftsjahr entschieden hat.
Die Bürgerschaft hat am 23.05.2019 die Beschlüsse zur Bestellung der städtischen Aufsichtsratsmitglieder gefasst. In der Zwischenzeit gab es außerdem einzelne Beschlüsse zu Nachbesetzungen von Mandaten.
Für die überwiegende Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder laufen nun ihre Amtszeiten mit dem Tag des Beschlusses der Gesellschafterversammlung über die Entlastung des jeweiligen Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2022 aus. Die Entlastung folgt i. d. R. unmittelbar auf die Feststellung der Jahresabschlüsse im Juni 2023. Einige dieser Sitzungen sind bereits terminiert.
Die Anlage zu dieser Vorlage enthält die Liste der betroffenen Aufsichtsratsmandate. Die Bürgerschaft kann jedes Aufsichtsratsmitglied, das sie bestellt hat, jederzeit wieder abberufen. Erfahrungsgemäß vergibt die Bürgerschaft nach einer Kommunalwahl die Aufsichtsratsmandate neu. Der genaue Zeitablauf ist aber abhängig von den politischen Prozessen (Mehrheitsfindung) und insoweit mit Unsicherheiten behaftet. Aus den nachfolgend dargestellten Gründen stellt dies ein potentielles Problem für die städtischen Gesellschaften und für die städtische Beteiligungssteuerung dar:
Folgen für die Aufsichtsräte
Nach dem Beschluss der Gesellschafterversammlung über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2022 endet das Mandat. Eine Fortführung der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied (quasi geschäftsführend im Amt) bis zu einer Neubesetzung ist nicht möglich.
Die Aufsichtsräte, der Grundstücksgesellschaft Metallhüttengelände mbH, der GrundstücksGesellschaft TRAVE mbH, der KWL GmbH, der Lübeck und Travemünde Marketing GmbH, der Lübecker Musik- und Kongreßhallen Gesellschaft mit beschränkter Haftung und der Theater Lübeck gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung sind dann mit der Entlastung und dem Ende des Mandats nicht mehr beschlussfähig, da es an der erforderlichen Mindestanzahl von Aufsichtsratsmitgliedern fehlt. Es müssen mindestens drei Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen (Regelung im Gesellschaftsvertrag analog § 108 Abs. 2 Aktiengesetz).
Die Aufsichtsräte der Lübecker Hafen-Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der BQL Berufsausbildungs- und Qualifizierungsagentur Lübeck GmbH, der Sana Kliniken Lübeck GmbH, der Stadtwerke Lübeck Energie GmbH (bis 31.12.2022 Stadtwerke Lübeck GmbH), der Stadtwerke Lübeck Mobil GmbH (bis 31.12.2022 Stadtverkehr Lübeck GmbH) der Stadtwerke Lübeck Gruppe GmbH (bis 31.12.2022 Stadtwerke Lübeck Holding GmbH), der TraveNetz GmbH und Wirtschaftsförderung Lübeck GmbH bleiben beschlussfähig, da neben den städtischen Aufsichtsratsmitgliedern in diesen Gesellschaften auch Mitglieder von Mitgesellschafter:innen und/oder als Arbeitnehmervertreter:innen entsandt bzw. gewählt wurden. Dessen ungeachtet gilt auch in diesen Fällen, dass die Hansestadt Lübeck im Sinn ihrer Treuepflicht als Gesellschafterin gehalten ist, Mandate unverzüglich nachzubesetzen.
Fraglich wäre zudem, ob die Hansestadt sich durch Verzögerungen bei der Mandatsnachbesetzung (vorübergehend) ihres von der Gemeindeordnung (§ 102 GO) geforderten angemessenen Einflusses im Aufsichtsrat begeben würde.
Folgen für die Beteiligungssteuerung der Hansestadt Lübeck
Die Aufsichtsräte haben eine Schlüsselfunktion in der Governance-Struktur der Hansestadt
Lübeck, da sie zu den Entscheidungen, die die Hansestadt Lübeck als Gesellschafterin treffen soll, vorab beteiligt werden.
Ohne eine Empfehlung des Aufsichtsrates kann die Gesellschafterin Hansestadt Lübeck in der Gesellschafterversammlung nach den Regelungen im Gesellschaftsvertrag und der Hauptsatzung erst dann ihre Stimme abgeben, wenn ein entsprechender Hauptausschussbeschluss gefasst wird (§ 9 Abs. 5 der Hauptsatzung). Die Handlungsfähigkeit der Hansestadt Lübeck als Gesellschafterin und infolgedessen auch der Gesellschaften wäre daher in zeitkritischen Angelegenheiten empfindlich eingeschränkt, wenn Aufsichtsräte längere Zeit nicht (vollständig) besetzt wären.
Beachtung des Gleichstellungsgesetzes
Für die Vergabe der Aufsichtsratsmandate gilt die Geschlechterquote gemäß § 15 des Gesetzes zur Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst (Gleichstellungsgesetz, GstG). Danach „sollen Frauen und Männer jeweils hälftig berücksichtigt werden. Bestehen Benennungs- oder Entsendungsrechte nur für eine Person, sollen Frauen und Männer alternierend berücksichtigt werden […]. Bestehen Benennungs- oder Entsendungsrechte für eine ungerade Personenzahl, gilt [die alternierende Besetzung] entsprechend für die letzte Person“. Die Geschlechterquote ist für jeden Aufsichtsrat einzeln zu beachten.
Der § 15 GstG wird auch bei der vorgeschlagenen „Verlängerung“ der Aufsichtsratsmandate grundsätzlich beachtet. Hinsichtlich der Aufsichtsräte, in denen die Hansestadt Lübeck eine ungerade Anzahl von Mandaten besetzt, muss jeweils einem Mann eine Frau nachfolgen oder umgekehrt. Das betrifft die Aufsichtsräte der KWL, der TRAVE, der Grundstücksgesellschaft Metallhüttengelände und der BQL sowie das eine städtische Mitglied im Aufsichtsrat der Sana Kliniken Lübeck GmbH.
Die gesetzliche Regelung ist eine Soll-Vorschrift. Solche Vorschriften sind im Regelfall zwingend und verpflichten die Adressat:innen – hier die Hansestadt Lübeck – grundsätzlich, entsprechend zu verfahren. Insoweit bedeutet ein gesetzliches „Soll“ im Regelfall ein „Muss“. Nur in Fällen, die von der Regel abweichen, darf ausnahmsweise abweichend verfahren werden (atypischer Fall).
Im vorliegenden Fall kommt es aufgrund terminlicher Zufälligkeiten zu einer Konstellation, die typischerweise nicht eintritt, nämlich dem zeitlichen Zusammenfall von Kommunalwahl einerseits und einer sehr hohen Anzahl von Aufsichtsrats-Amtszeitenden andererseits.
Daraus folgt zum einen, dass die Bürgerschaft noch vor der Kommunalwahl über eine Vielzahl von Mandatsvergaben entscheiden müsste, zum anderen aber, dass nach der Logik politischer Prozesse in dieser letzten Sitzung der Wahlperiode keine Grundsatzentscheidung über die Mandatsvergaben zu erwarten ist. Auch wenn formal Mandate für volle neue Amtszeiten vergeben werden, weil die Gesellschaftsverträge nur das zulassen, ist erwartungsgemäß davon auszugehen, dass nach der Kommunalwahl eine Neuvergabe erfolgen wird.
Die Wechsel-Regelung in § 15 GstG hätte zur Folge, dass dann nach voraussichtlich wenigen Monaten Amtszeit wieder von Frau zu Mann zurückgewechselt werden muss (oder in einer geringeren Anzahl von Fällen umgekehrt). Das aber entspricht klarerweise nicht dem Zweck der Regelung, die dazu beitragen soll, strukturelle Benachteiligungen von Frauen auszugleichen oder zu mindern.
Die Sachlage stellt insoweit einen solchen atypischen Fall dar.
Um § 15 GstG gerecht zu werden, muss die Bürgerschaft gleichwohl zeitnah für jeden Aufsichtsrat, für den die Hansestadt Lübeck eine ungerade Zahl an Mitgliedern bestellt, das jeweils letzte Mandat mit einem anderen Geschlecht besetzen. Es wird erwartet, dass dies im Zuge der üblichen Neubestellung aller Aufsichtsratsmitglieder nach der Kommunalwahl geschieht.