Ein FVS stellt im öffentlichen Raum Fahrräder für einen registrierten Kundenkreis zur spontanen und i.d.R. kurzfristigen Ausleihe gegen Entgelt zur Verfügung. Das FVS stellt dafür alle wesentlichen Komponenten bereit (Infrastruktur, Logistik, Betrieb, Kundenservice, Wartung, Instandhaltung und -setzung).
Viele Städte in Deutschland bieten mittlerweile öffentliche FVS an. Insbesondere für fahrradfreundliche Städte und jene mit hohem Radverkehrsanteil bilden FVS einen wichtigen Baustein im Mobilitätsangebot. Als klassische Ergänzung des ÖPNV ermöglichen ein FVS Inter- und Multimodalität und leistet einen Beitrag zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Das Fehlen eines FVS in Lübeck wird unter anderem beim ADFC-Fahrradklimatest seit Jahren bemängelt.
Ein FVS ermöglicht es, ein Mobilitätsangebot spontan und mit geringem Aufwand zu nutzen – sowohl für Alltagsverkehre als auch für touristische Verkehre. Tourist:innen steht ihr privates Fahrrad i.d.R. nicht zur Verfügung, allerdings sind im Rahmen einer Reise die Alltagsroutinen bei der Verkehrsmittelwahl aufgebrochen, sodass auch nicht Fahrrad-affine Personen das Angebot in Betracht ziehen.
Evaluationen aus Städten, welche bereits erfolgreich ein FVS einführten, zeigen aber deutlich, dass auch Alltagswege per Leihfahrrad zurückgelegt werden. FVS werden auch für Dienstwege und Erledigungen genutzt. Pendler:innen können das Leihfahrrad auf dem Weg von der Haltestelle zu ihrer Arbeitsstätte nutzen. Nicht nur für Pendler:innen, sondern für alle ÖPNV-Nutzer:innen stellt ein FVS eine sinnvolle Ergänzung dar. In Schwachverkehrszeiten (abends, nachts), oder als Ergänzung in dünnbesiedelten und vom ÖPNV nicht in der Fläche erschlossenen Gebieten, ist ein FVS eine wichtige Option für die „letzte Meile“.
Ein FVS kann ebenfalls als „Imageträger“ bzw. „Imagebeförderer“ für den Radverkehr wirken. Durch die Sichtbarkeit des FVS im öffentlichen Raum entsteht ein präsentes und niedrigschwelliges Angebot für Nicht- und Neuradler:innen. Des Weiteren können FVS entlastend für Standorte mit erhöhtem Fahrradparkdruck wirken und so einen Beitrag zur Reduzierung des „wilden Abstellens“ privater Räder leisten.
Bislang lassen sich aufgrund der Datenlage noch wenig konkrete Auswirkungen und Effekte quantifizieren. Bestehende Evaluationen zeigen Heterogenität in den Effekten eines FVS. Der Erfolg oder Misserfolg eines FVS ist immer auch abhängig von äußeren Faktoren (z.B. Topografie). Prinzipiell sind FVS in deutschen Kommunen positiv aufgenommen worden. Eine Auswertung des ehemaligen Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) von sechs FVS-Modellprojekten zeigt auf, dass insbesondere die Verbindung von Leihfahrrädern und ÖPNV eine erfolgreiche Kombination ist. Die Modellprojekte zeigen, dass bei unmittelbarer Nähe eines FVS zu einem Haltepunkt des ÖPNV die Wege zu 20%-50% in Kombination beider Verkehrsmittel zurückgelegt werden. Des Weiteren konnten durchschnittlich 10% der mit einem Leihfahrrad zurückgelegten Wege vom Pkw verlagert werden.[1]
Der Versuch des Unternehmens NextBike, 2009 in Lübeck ein FVS eigenwirtschaftlich zu installieren, scheiterte. Investoren von privatwirtschaftlichen FVS (u.a. Nextbike, OBike, MoBike oder Ofo) unterschätzen häufig den finanziellen und betrieblichen Aufwand. Ein FVS ist nicht kostendeckend. Aus den erzielten Einnahmen der Ausleihvorgänge können die anfallenden Kosten i.d.R. nicht gedeckt werden. NextBike versuchte deshalb mit Werbeflächen an den Leihfahrrädern Zusatzeinnahmen zu generieren. Allerdings führten die Werbeflächen nicht dazu, dass das FVS wirtschaftlich betrieben werden konnte. Außerdem verstieß NextBike damit gegen die Werbeanlagensatzung der Hansestadt Lübeck. Die entsprechende Werbung der Leihräder verstieß gegen die Satzung, da sie „außerhalb der Stätte der Leistung“ (§6 Abs. 1 Werbeanlagensatzung) und an „Fahrräder[n], […] die für längere oder immer wiederkehrend auch für kürzere Zeit an bestimmter Stelle auf Flächen im öffentlichen Raum mit dem Hauptziel der Werbung abgestellt werden“ (§6 Abs. 4 Werbeanlagensatzung) angebracht war. Die Satzung verfolgt das Ziel, die hohen Qualitätsansprüche des öffentlichen Raums in der Lübecker und Travemünder Altstadt zu gewährleisten und dem sensiblen Stadtbild des Welterbes zu entsprechen.
Seit 2009 gab es zwar keine weiteren Versuche, ein privatwirtschaftliches FVS zu betreiben, aber es haben sich mittlerweile in Lübeck vier E-Tretroller-Unternehmen etabliert. Eine rege Nutzung der E-Tretroller zeigt deutlich auf, dass in Lübeck eine Nachfrage für ein flexibles Sharing-System vorhanden ist. Allerdings treten seit Sommer 2021 aufgrund der großen E-Tretroller-Flotte vermehrt Probleme mit abgestellten E-Tretrollern im öffentlichen Raum auf.
Die Einführung eines von der Stadt organisierten und mit dem ÖPNV verknüpften FVS wird in vielen Städten genutzt, um die Abstellvorgänge der Räder und somit die Nutzung des öffentlichen Raums besser regulieren zu können als ein eigenwirtschaftlich agierendes Unternehmen, das Räder im Free-Floating-Betrieb anbietet (wie Nextbike in 2009 oder die aktuellen E-Tretroller-Unternehmen). Aufgrund der aktuellen Thematik der E-Tretroller können mit der Realisierung eines FVS in Lübeck kombinierte Stationen für E-Tretroller und die Räder des FVS im Rahmen eines integrierten Abstellkonzepts entwickelt werden.
- Grobkonzept
1.1. Akteure eines FVS
Die Hansestadt Lübeck agiert als Planerin und erarbeitet in Kooperation die konzeptionellen Systemgrundlagen eines FVS. Der Stadtverkehr Lübeck wird mit der Implementierung (inkl. Mitwirkung bei der Planung) und der Trägerschaft betraut und übernimmt damit das FVS als ergänzendes Angebot zum Busverkehr in ihr Mobilitätsportfolio auf. Das Bereitstellen und Betreiben von Rädern und Stationen wird per Ausschreibung und Vergabe durch einen externen Anbieter erfolgen. (vgl. Abb. 1)
Durch ein System in städtischer Verantwortung kann maximale Kontrolle bei Einführung eines FVS gewährleistet werden. Der Fokus liegt nicht ausschließlich auf betriebswirtschaftlichen Motiven, sondern auf der verträglichen Umsetzung, den Kund:innenbedürfnissen und einer nachhaltigen, langfristigen Mobilitätsstrategie.
1.2. Betriebsmodell
Einem FVS können verschiedene Betriebsmodelle zu Grunde liegen. Die Auswahl ermöglicht es, auf die spezifischen Gegebenheiten und Rahmenbedingen des jeweiligen Standorts bestmöglich zu reagieren. Prinzipiell lassen sich stationsbasierte System (oftmals mit öffentlichen Mitteln finanziert, z.B. in Kiel) und stationslose Systeme (meist eigenwirtschaftlich betrieben, z.B. Jump-Bikes von Lime in Hamburg/Berlin) voneinander unterscheiden. In den letzten Jahren sind in einigen Städten mit öffentlichen Mitteln hybride Systeme entstanden (z.B. in Bielefeld, Dresden, Köln, Düsseldorf, Nürnberg), die die Vorteile beider System unterschiedlich ausgeprägt vereinen: die Kontrolle über die Abstellvorgänge im öffentlichen Raum auf der einen Seite und die Flexibilität für die Kund:innen in einigen Stadtgebieten auf der anderer Seite. Je nach Anforderungen an den Raum und Nutzungsstruktur kann damit flexibel reagiert werden. Ein hybrides Betriebssystem wird in anderen deutschen Städten häufig genutzt, um den unterschiedlichen Ansprüchen des Stadtgebiets und dem Verkehrsaufkommen gerecht zu werden.
Aufgrund des sensiblen Stadtraums in der Lübecker Altstadt sowie den schlechten Erfahrungen mit stationslosen E-Tretrollern bietet sich für Lübeck ein primär stationsbasiertes System an. Einige Quartiere außerhalb sensibler Bereiche weisen ggf. nicht ausreichend Flächen auf, um Stationen zu errichten. Eine Prüfung von ausgedehnten virtuellen Zonen (z.B. entlang eines Straßenzugs) könnte im Rahmen der Detailplanung eine Lösung bieten.
Bei der Weiterentwicklung des Gesamtkonzepts und der späteren Ausschreibung ist darauf zu achten, dass auch nach Betriebsstart Änderungen hinsichtlich der Lage, Art und Anzahl von Stationen in dem Maße möglich sind, wenn nicht vorhersehbare Änderungen der Nutzung auftreten oder sich das Verhalten der E-Tretroller-Unternehmen ändert.
1.3. Stationstypen
Die Gebietscharakteristika im gesamten Stadtgebiet sind heterogen. Insbesondere der Altstadtbereich (auch Travemünder Altstadt), der Hauptbahnhof oder touristische Hotspots unterliegen einer Vielzahl an Einschränkungen und Anforderungen an den öffentlichen Raum. Hier existieren besondere gestalterische und städtebauliche Ansprüche, gleichzeitig herrscht bereits heute ein hoher Fahrradparkdruck. Deshalb werden für diese Gebiete feste Stationen mit Fahrradhalterungen favorisiert. Auch die Erfahrungen mit E-Tretrollern führen zu dem Schluss, dass feste Abstellorte vorteilig sind.
In der weiteren Ausarbeitung ist zu prüfen, ob die Notwendigkeit von festen Stationen (bspw. Einschubhalterung) im gesamten Stadtgebiet gegeben ist. Die Ausweisung von reduzierteren Stationen (bspw. Bodenmarkierungen, „virtuelle“ Stationen) sowie langgezogenen Stationen entlang von Hauptverkehrsstraße muss für geeignete Standorte und Gebiete geprüft werden.
Stationen für Leihfahrräder sind in ihrer Ausgestaltung und ihren Kosten sehr unterschiedlich. Dabei können Stationen neben ihrer offensichtlichen Funktion – das Abstellen von Leihrädern ermöglichen – auch noch andere Aufgaben übernehmen. Sie können über die Abstellmöglichkeit (Einschiebehalterung, Abstellbügel) hinaus auch mit Informationsstelen o.ä. ausgestattet sein. Diese können z.B. über das Sharingsystem, die Tarife, das Geschäftsgebiet, oder auch über die besten Routen zu wichtigen Sehenswürdigkeiten aufklären. Diese umfassenden Stationen werden im Nachfolgenden als „Maxi-Stationen“ bezeichnet.
Darüber hinaus existieren „Midi-Stationen“. Diese verfügen bspw. über eine Markierung am Boden, welche die Fläche zum Abstellen der Leihräder definiert. Es gibt keine festen Einbauten für den Abstellvorgang. Für die bessere Sichtbarkeit oder auch für die Unterbringung zusätzlicher Informationen werden Schilder/Hinweistafeln aufgestellt, die den Stationsstandort verdeutlichen. Die Nutzung einer einfachen Bodenmarkierung ohne Informationsbeschilderung wird als „Mini-Station“ bezeichnet.
Eine weitere Möglichkeit ergibt sich durch die Einrichtung virtueller Stationen. Diese sind vor Ort nicht sichtbar, sondern werden lediglich in der entsprechenden App als Abstellmöglichkeit angezeigt. Dabei kann die virtuelle Station als festgelegter, umgrenzter Bereich wie bei einer Standard-Station ausgewiesen sein.
Das vorliegende Grobkonzept wurde bisher nur für die Leihräder erstellt. Aufgrund der Dynamik der E-Tretroller-Unternehmen könnte abseits von kurzfristigen Maßnahmen für E-Tretroller (wie oben beschrieben) ein integriertes Abstellkonzept für Mikromobilitätsangebote[2] im öffentlichen Raum notwendig werden, indem z.B. integrierte Stationen entwickelt werden.
1.4. Gebiet und Ausbaustufen
Die heterogenen Gebiete und die Komplexität der Etablierung eines FVS machen es nötig, in Ausbaustufen zu planen. Allerdings sollte die erste Ausbaustufe schon einen Großteil des besiedelten Stadtgebietes abdecken, damit das Angebot attraktiv für die Nutzer:innen ist und entsprechend angenommen wird. Vor allem baulich verdichtete Gebiete sind prioritär zu betrachten. Nach Einführung des FVS können mittel- und langfristig auch über die Stadtgrenze hinaus Kooperationen mit Nachbargemeinden angestrebt werden.
Abbildung 3: Grobe Übersicht über Betriebsgebiete und Ausbaustufen[3]
Die exakte Verortung der Stationen und des Betriebsgebiets ist nicht Teil dieses Berichts. Die Darstellung in Abbildung 3 dient als grobe Zuteilung des Stadtgebiets. Allerdings müssen im weiteren Verlauf der Detailplanung die Gebiete und Ausbaustufen konkret festgelegt werden. Zu diesem Zeitpunkt können jedoch bereits Grundsätze definiert werden. Das FVS soll wesentliche Quell- und Zielorte miteinander verbinden, dabei nutzer:innenfreundlich sein und sich mit dem Stadtbild und den Anforderungen von Fußgänger:innen im öffentlichen Raum vereinbaren lassen. Dafür sind insbesondere folgende Parameter bei der Standortsuche von Bedeutung:
- Bevölkerungsdichte
Anhand einer kleinräumigen Betrachtung der Bevölkerungsdichte (z.B. in 100m*100m-Raster) lassen sich nicht nur Standorte für Stationen bewerten, sondern auch die Anzahl erforderlicher Leihräder abschätzen. Des Weiteren hilft die Bevölkerungsdichte dabei, Gebiete mit höherer Priorität bei der Ausbaustufe festzulegen.
- Wichtige Standorte / „Points of Interest“ (POI)
Damit ein FVS möglichst zielführend ist, sollten in der Nähe wesentlicher Einrichtungen mit Quell- und Zielverkehr Stationen vorgehalten werden. Dazu zählen grundsätzlich Einrichtungen der Daseinsvorsorge (Bildungseinrichtungen, wichtige Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Einzelhandel mit stadtteilübergreifender Bedeutung, Tourismus-Hotspots, medizinische Einrichtungen)[4].
- Unmittelbare Nähe zu ÖPNV/SPNV
Wichtige Verkehrsknotenpunkte, insbesondere Haltestellen des ÖPNV und SPNV, können durch ein FVS sinnvoll ergänzt werden. An diesen Standorten kann dadurch Inter- und Multimodalität gefördert werden. Das FVS ist somit auch für Pendler:innen interessant, die aus den Nachbargemeinden anreisen.
Nach Expertisen anderer Städte[5] sowie Richtwerten aus Literatur[6] und Praxis[7] kann für die Hansestadt Lübeck eine erste Größenordnung für ein FVS bestimmt werden. Dabei ist nach Ausbaustufen zu differenzieren. Für die Annäherung an die benötigte Anzahl notwendiger Räder und Stationen wird sich an der Verleihstationsdichte (Stationen/km²) sowie an Erfahrungswerten anderer Städte orientiert, die aufgrund ihrer Bevölkerungszahl und Flächengröße mit Lübeck vergleichbar sind.
Tabelle 1: Gebiete und Ausbaustufen
Ausbaustufe | Grobe Gebietsabgrenzung | Geschätzte Anzahl Stationen | Geschätzte Anzahl Räder |
1 | Lübecker Kerngebiet und Travemünde | 60 | 600 |
2 | weitere Stadtteile | +20 | +200 |
3 | Ländlicher Raum | +10 | +100 |
| Umlandgemeinden | unklar | unklar |
Die Ausbaustufe 1 umfasst das Kerngebiet von Lübeck mit einem hochfrequentierten und meist zusammenhängend bebauten Stadtraum sowie Travemünde. Für die Etablierung eines FVS ist mit rund 60 Stationen und rund 600 Rädern zu rechnen. Die Stationen sind zumindest für die sensiblen Bereiche bzgl. des Stadtbildes, Denkmalschutz und anderer Belange als klar gekennzeichnete Station mit Abstellmöglichkeit und Beschilderung zu planen. Hier können ggf. auch kombinierte Stationen mit E-Tretrollern sinnvoll sein, eine Konkretisierung erfolgt in der Detailplanung.
Die weiteren Stadtteile können im Rahmen der zweiten Ausbaustufe mit einem FVS bedient werden. Hierunter fallen Stadtgebiete, die eine geringe Einwohnerdichte aufweisen oder seltener Quell- und Zielort sind. Für die Ausbaustufe 2 wird insgesamt mit rund 20 Stationen und 200 Rädern zusätzlich zur Stufe 1 gerechnet. Die Stationen sollten weniger komplex, ggf. mit Markierungen und Beschilderungen, geplant werden.
Die Ausbaustufe 3 richtet sich vor allem an jene ländlichen Gebiete welche eine geringere Nachfrage vermuten lassen. Hier wird mit weiteren 10 Stationen und 100 Rädern zusätzlich zu den Stufen 1+2 kalkuliert.
Die Implementierung eines FVS in die Umlandgemeinden liegt nicht in der Zuständigkeit der HL, ist aber durchaus erstrebenswert, so dass die HL zur gegebenen Zeit aktiv auf die Umlandgemeinden zugeht. Denn durch das Umland lässt sich das FVS auch im regionalen Kontext betrachten. Die Anzahl an Rädern oder Stationen ist nicht abzusehen, da das Vorhaben maßgeblich von der Bereitschaft und Initiative der Nachbargemeinden abhängig ist.
1.5. Fahrradmodell(e)
Die Leihfahrräder sollen StVZO-gerechte, robuste Unisex-Fahrräder sein. Sie sollen mit einem Gepäckträger und/oder Korb ausgestattet sein. Dadurch bieten sie auch einen Vorteil gegenüber den E-Tretrollern, welche keinen verkehrssicheren Transport von Gegenständen zulassen. Die Leihfahrräder müssen möglichst unempfindlich gegen Vandalismus sein. Für die Räder wird ein eigenes Design (Farben, Logos, etc.) gewählt. Dieses soll in Anlehnung an das Design des Stadtverkehrs als Baustein des Mobilitätsportfolios eindeutig erkennbar sein. Die meisten Städte mit eigenem FVS nutzen die Möglichkeit nicht, auf Leihrädern Fremdwerbung zu platzieren. Die Leihräder sind im entsprechenden, gewünschten Design der jeweiligen Stadt/ Region/ Verkehrsverbund gestaltet.[8]
Für die Einführung eines FVS können vorerst nur klassische Fahrräder angedacht werden. Eine Angebotserweiterung mit Pedelecs oder Lastenrädern kann ggf. langfristig erfolgen, stellt aber auch einen erheblichen Kostenfaktor dar. Die Betriebskosten wären um das fünf- bis sechsfache höher. Die Hansestadt Lübeck bietet darüber hinaus aufgrund ihrer Topographie und Stadtgröße gute Bedingungen für die Nutzung regulärer Räder.
1.6. Tarifsystem
Eine genaue Ausarbeitung eines Tarifsystems ist im Zuge einer Detailplanung vorzunehmen. Im Rahmen des Grobkonzepts werden die Kosten beeinflussende Rahmenbedingungen formuliert:
- Vergünstigung für ÖPNV-Kund:innen
Als Ergänzung zum Busverkehr sollen Kund:innen im Besitz von Zeitkarten für die Nutzung des FVS Vergünstigungen erhalten oder eine kostenlose Nutzung für einen bestimmten noch festzulegenden Zeitraum.
- Orientierung bei etablierten Systemen
Durch die Existenz von FVS in anderen Städten kann auf Expertisen und Erfahrungswerte zurückgegriffen werden. Die Abstufung in verschiedene Tarife (pro Monat, pro Minute, etc.) und Zeitfenster zur kostenlosen Nutzung (z. B. die ersten 15 oder 30 Minuten) können evaluiert, bewertet und ggf. angepasst oder übernommen werden.
- Einbindung Partner:innen
Die Einbeziehung von Partner:innen (i.d.R. große Arbeitgeber:innen), vergleichbar mit dem Jobticket, kann angedacht werden. Die Etablierung des FVS in die Mobilitätspauschale für Mitarbeitende der Hansestadt Lübeck ist denkbar und sinnvoll. Die Subventionierung von Abo-Karten eines FVS könnte darunter fallen.
1.7. Erlöse und Kostenabschätzung
Als Einnahmen können nur die Nutzungsgebühren der Einzelkund:innen und ggf. Kooperationspartner (z.B. Studierendenwerke, große Unternehmen) angerechnet werden. Diese Erlöse sind stark abhängig vom Tarifmodell, den Verleihzahlen und Vereinbarungen mit Kooperationspartner:innen. Im Rahmen dieses Berichts kann dazu noch keine Auskunft gegeben werden.
Öffentliche Fahrradverleihsysteme verfolgen in der Regel kein gewinnorientiertes Ziel, die Einnahmen decken meist nicht die Kosten des Systems. Es handelt sich um eine Investition in eine öffentliche Dienstleistung im Sinne der Verkehrswende und der Daseinsvorsorge. Die Unterdeckung muss daher durch kommunale Zuschüsse finanziert werden. Es gibt zahlreiche Einflussfaktoren für die Höhe des Zuschussbedarfs: bspw. Anzahl, Ausstattung und Art der Stationen sowie der Räder, Wartungsbedarf, Größe des Geschäftsgebietes, Vertragslaufzeit, Tarif und Vergünstigungen für bestimmte Gruppen. Des Weiteren muss bei FVS in zwei verschiedene Kostenkategorien unterschieden werden: Investitions- und Betriebskosten.
Die Investitionskosten fallen für die Errichtung der Stationen an. Die Leihräder sind keine Investitionen, da der Betrieb bei einem externen Dienstleister liegt. Die Kosten für Stationen sind in Abhängigkeit ihrer Ausstattung zu betrachten. Ein weiterer wesentlicher Kostenfaktor sind die Betriebskosten. Diese fallen für die Stationen und Räder an. Dabei stellen die Betriebskosten für Fahrräder den größten Anteil.
Für die Abschätzung der anfallenden Kosten wurden Werte aus der Literatur entnommen und durch Interviews mit Vertreter:innen verschiedenster Kommunen verifiziert. Darüber hinaus liefern, aufgrund ihrer Vergleichbarkeit (Stadtgröße, Anzahl der Bewohner:innen), Machbarkeitsstudien aus Münster[9] und Bielefeld[10] hilfreiche und anschauliche Erfahrungswerte. Zur Kalkulation der Kosten wurden für alle Elemente eines FVS pauschale Werte angesetzt (s. Tabelle 2).
Tabelle 2: Kostenansätze
| Kosten |
Stationen | Investition (€) | Betrieb (€ p.a.) |
Maxi-Station | 10.000 | 1.000 |
Midi-Station | 1.500 | 500 |
Mini-Station | 500 | ~ 0 |
Virtuelle Station | 0 | 0 |
Fahrräder | Investition (€) | Betrieb (€ p.a.) |
Standard-Fahrrad | / | 600 |
Pedelec | / | 3.000 |
Lastenpedelec | / | 4.000 |
Die dargestellten Werte für die verschiedenen Stationstypen sind als Orientierungswerte zu verstehen. Eine differenziertere Kostenkalkulation ist erst mit Weiterführung der Planung eines FVS möglich. Es ist nicht auszuschließen, dass bestimmte Rahmenbedingungen vor Ort, oder auch bestimmte Ausstattungsmerkmale der Stationen, die Kosten verringern oder erhöhen.
Denkbar ist ebenfalls, dass Stationen oder deren Teilelemente durch das externe Unternehmen, welches mit dem Betrieb beauftragt ist, beschafft und installiert werden. Die Hansestadt Lübeck würde in diesem Fall die Stationen von der/dem Betreiber:in mieten. Dadurch käme es zu einer Verschiebung der Mittel, da die Investitionskosten geringer, die Betriebskosten jedoch etwas höher ausfallen würden.
Die Betriebskosten der Fahrräder ergeben sich aus den jährlichen Fehlbeträgen. Sie stellen den Betrag da, der ausgeglichen werden muss, nachdem entsprechende Einnahmen (durch Ausleihvorgänge) bereits gegengerechnet sind. Pro Standard-Fahrrad wird mit 600 € Fehlbetrag pro Jahr kalkuliert.[11]
Die Kostenansätze können für die erläuterten Ausbaustufen genutzt werden, um sich den Gesamtkosten eines FVS zu nähern. Mit den getroffenen Annahmen über Flottengröße und Stationsanzahl können Investitions- und Betriebskosten berechnet werden (vgl. Tabelle 3).
Tabelle 3: Kostenschätzung FVS für Lübeck
Ausbau- stufe | Rahmenbedingungen | Investition (einmalig) | Betrieb (p.a.) |
1 | 60 Stationen 25 Maxi-Stationen für sensible Bereiche 35 Midi-Stationen (Markierung, Beschilderung) 600 Fahrräder Standard-Fahrräder | 302.500 € | 402.500 € |
2 | + 20 Stationen 20 Midi-Stationen (Markierung, Beschilderung) + 200 Fahrräder Standard-Fahrräder | +30.000 | +130.000 € |
3 | +10 Stationen 10 Midi-Stationen (Markierung, Beschilderung) + 100 Fahrräder Standard-Fahrräder | +15.000 | +65.000 € |
Bei Etablierung eines FVS werden über die oben erwähnten Kosten hinaus weitere Mittel anfallen. Unter anderem für die Begleitung und Ausschreibung, sowie für den zusätzlichen Personalbedarf. Folgende geschätzte Kosten fallen im Rahmen der Detailplanung sowie der Umsetzung eines FVS an:
- 20.000 € für externe Unterstützung der Konkretisierung von Tarifen, Erlösen und Kosten (einmalig)
- 100.000 € für die Vorbereitung und Begleitung der Ausschreibung und Vergabe (einmalig)
- 60.000 € für zusätzlichen Personalbedarf beim Stadtverkehr Lübeck für Anpassungen, Kooperationsmanagement, Reporting, Evaluation (pro Jahr)
- 50.000 € für App-Entwicklung[12] (einmalig)
- 30.000 € für initiales bzw. laufendes Marketing (pro Jahr)
Bei den Werten handelt es sich um Schätzungen. Die tatsächlichen Kosten ergeben sich erst nach einer Ausschreibung, können aber mit einer detaillierten Planung und Erlösmodellierung konkretisiert werden. Auch die Einbeziehung von Partner:innen (z.B. Hochschulen, Unternehmen, etc.) als Sponsor:innen für Stationen kann zu einer Reduzierung der Kosten führen. Durch die stufenweise Umsetzung ist ein schnellerer Beginn der Umsetzung möglich. Außerdem können die Erfahrungen aus der Umsetzung der ersten Stufe bei der Realisierung der nächsten Stufen berücksichtigt werden.
Für die Investitionskosten besteht ggf. die Möglichkeit auf Förderung. Die aktuelle Fördermittellandschaft ist insbesondere für investive Projekte attraktiv. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Mittel aus der Stellplatzablöse dafür zu verwenden. Die Betriebskosten lassen sich i.d.R. nicht über Förderungen finanzieren. Es ist darüber hinaus rechtlich ausgeschlossen, die Stellplatzablöse für den Betrieb zu verwenden.
1.8. FVS als digitales Mobilitätsangebot
Fahrradverleihsysteme sind heutzutage ein sehr digitalisiertes Mobilitätsangebot: Das Rad wird meistens per Smartphone gebucht, ver- und entriegelt sowie bezahlt. Das Angebot kann in eine evtl. vorhandene Mobilitätsplattform oder Auskunfts-App eingebunden oder aber als eigenständige FVS-App angeboten werden.
In der Digitalstrategie der Hansestadt Lübeck wird auf die Bedeutung von Sharing-Angeboten (ein FVS wird oftmals auch als Bike-Sharing benannt) als ein Teil intelligenter Mobilität und als ein strategisches Ziel für Lübeck hingewiesen. Deshalb strebt die Verwaltung mit dem vorliegenden FVS-Konzept in Lübeck eine starke Verknüpfung des klassischen ÖPNV mit weiteren Mobilitätsangeboten inklusive eines FVS an. Dazu zählen eine kommunikative Integration sowie eine digitale Integration in bestehende Apps. Außerdem könnten die anonymisierten FVS-Nutzungsdaten neben den Nutzungsdaten der E-Tretroller für eine integrierte Planung des gesamtstädtischen Mobilitätsangebots genutzt werden.
1.9. Nächste Schritte
Dieser Bericht umreißt ein Grobkonzept zur Einführung eines FVS. Anhand dessen muss eine Entscheidung getroffen werden, ob die Einführung eines FVS weiterhin verfolgt oder verworfen wird. Bei Auftrag an die Verwaltung zur Weiterführung werden verschiedene Arbeitsschritte abgearbeitet: Detailplanung, Beschluss und Ausschreibung, Umsetzung.
Die Detailplanung beginnt mit der weiteren Ausarbeitung des vorgestellten Grobkonzepts. Insbesondere die Suche nach Standorten für Stationen ist ein wesentlicher Bestandteil der Planung. Die Kombination mit E-Tretrollern wird geprüft. Darüber hinaus werden die Kosten, Tarife und Erlöse (Tarif-Erlös-Modell) weiter konkretisiert, damit ein Erwartungswert für die aus öffentlichen Mitteln auszugleichenden Kosten ermittelt werden kann. Für die Detailplanung ist externe Unterstützung vorgesehen. Die Detailplanung eines FVS für Lübeck wird dann den Gremien zur Beratung vorgelegt.
Zeitrahmen: Detailplanung liegt bis etwa Mitte 2022 vor, damit die Kosten ggf. im Haushalt für 2023 bedacht werden können.
Bei Beschluss der Detailplanung muss die Ausschreibung und Vergabe des Betriebs vorbereitet werden. Für die Ausschreibung ist ebenfalls Unterstützung durch Dritte vorgesehen. Es wird ferner festgelegt, dass die Stadtverkehr Lübeck GmbH mit der Trägerschaft betraut wird und das FVS in ihr Mobilitäts-Portfolio aufnimmt.
Zeitrahmen: Vergabe erfolgt etwa Ende 2022
Wenn der Betrieb per Ausschreibung vergeben wurde, kann anschließend mit der konkreten Umsetzungsphase begonnen werden. Die entsprechende Infrastruktur kann beschafft / errichtet werden.
Zeitrahmen: Betriebsstart etwa im Frühjahr 2023