Streetart wird dabei verstanden als Ausdrucksmittel gerade der jüngeren Generation, die den öffentlichen Raum für künstlerische Interventionen nutzt. Streetart bietet die Möglichkeit, aktiv am urbanen Veränderungsprozess teilzunehmen, zum einen, um seine Umgebung zu verändern, zum anderen, um Betrachter:innen anzuregen über seine / ihre Umgebung nachzudenken. Streetart hat keine feste Zielgruppe, die Konsument:innen kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten und sie fasziniert gerade, weil sie keinen Regeln untersteht.
Derzeit gibt es in Lübeck im Bereich der Streetart diverse Aktivitäten wie die des Jugendzentrums Burgtor oder des Vereins AGIL e.V. Die Vereinsvorsitzende Frau Angermann hat im Ausschuss für Kultur und Denkmalpflege am 19.08.2019 die Ziele der Initiative vorgestellt.
Grundsätzlich muss differenziert werden zwischen
1. Streetart in Form von Jugendprojektarbeit zur Gestaltung von Flächen im Bereich von Schulen oder Jugendzentren mit dem pädagogischen Ansatz der Beteiligung und der Freiwilligkeit der offenen Jugendarbeit,
2. Streetart, die durch Bereitstellung von Flächen zum Ausprobieren und Üben (z.B. Brückenpfeiler) von der lokalen Szene genutzt werden, als Treffpunkte für die Szene dienen und für Workshops und Festivals genutzt werden können und
3. Streetart in Form Identität stiftender Kunstwerke (meist großflächige Wandbilder, sog. Murals), die zum Beispiel durch Beauftragung renommierter Künstler:innen entstehen. Diese Art von Kunst im öffentlichen Raum (eingebettet in ein Gesamtkonzept und unter Beteiligung der Anwohner:innen) schafft einen unvermittelten Zugang zur Kunst, steigert die Akzeptanz von Streetart im Allgemeinen, vermag eine Stadt / einen Stadtteil kulturell aufzuwerten.
Streetart kann Ausdruck einer bunten und lebendigen Stadt sein. Im Laufe des Prozesses und mit einer wachsenden Anzahl von Werken ließen sich diese als „Freiraumgalerie“ oder „Urban Art“ vermarkten, um sie damit Bewohner:innen sowie Tourist:innen näher zu bringen.
Projektumfang
In einem ersten Schritt wurde eine Bestandsaufnahme der bisher in Lübeck entstandenen Streetart erarbeitet (s. Anlage). Dazu zählen zum Beispiel die „Outings“ nach Originalen aus dem Museum Behnhaus (2015/16), Papierstencils von Joan Aguiló (2017) oder die von Streetart-Künstlern aus dem Burgtor Jugendzentrum gestaltete Fassade des Toilettenhäuschens an der MuK (2019).
Bei der Projektplanung steht zunächst die Nutzung von städtischen Flächen im Fokus. Im weiteren Verlauf könnten auch private Flächen, wie etwa die von Wohnbaugesellschaften, mit einbezogen werden.
1) Flächen an Schulen
Zwischen den Bereichen Schule und Sport und dem GMHL wurde eruiert, welche Flächen sich eignen würden. Hauptsächlich kommen Wände aus Beton oder aus Blechen und Metallen in Betracht, im Einzelfall Wärmedämmverbundsysteme. Unter Denkmalschutz stehende Gebäude oder Gebäude aus Ziegel-/Backstein wie auch Gebäude mit einzelnen Fassadenplatten sind nicht geeignet und demzufolge auszuschließen, dies betrifft in Lübeck einen sehr großen Teil der Schulgebäude.
Im Gegensatz dazu gibt es bereits heute einige Beispiele von Sporthallen, an denen Auftragsarbeiten durchgeführt oder die als Schulprojekt durch die Schüler:innen gestaltet wurden, wie zum Beispiel die Hansehalle, das Trave-Gymnasium, die Sporthalle Holstentor-Gemeinschaftsschule oder die Thomas-Mann-Sporthalle jeweils mit Sportmotiven.
Folgende weitere Sporthallen kämen grundsätzlich für eine entsprechende Gestaltung in Zusammenarbeit mit den Schulen in Betracht:
- Burgfeldhalle in St. Gertrud
- Schule am Meer in Travemünde
- Struckbachhalle an der Triftstraße
- Baltic-Schule (eine Wand) in Buntekuh
- Gotthard-Kühl-Schule in St. Lorenz-Nord
- Schule an der Wakenitz in Brandenbaum
- Schule Eichholz in Eichholz
- Maria-Montessori-Schule in Kücknitz
2) sonstige städtische Flächen
Das Jugendzentrum Burgtor setzt sich bereits jetzt gemeinsam mit der Abteilung Brückenbau vom Bereich Stadtgrün und Verkehr der Hansestadt Lübeck für die Legalisierung von Graffitiflächen ein. Ziel dabei ist es, dass junge Streetart-Künstler:innen ihre Kunst legal ausleben können und das Stadtbild damit bereichern. Gerade weil Graffiti ein sensibles Thema in unserer Gesellschaft ist, kann das Schaffen von legalen Flächen zu mehr Akzeptanz auf beiden Seiten führen. Die offene Jugendarbeit hat mit ihrem pädagogischen Ansatz der Beteiligung eine Annäherung an die Szene geschafft, die es ermöglicht, gemeinsam mit dem Bereich Brückenbau seit 2015 ein Konzept zur Schaffung von freien Flächen zu entwickeln. Die bis jetzt geschaffenen Flächen unter der Marien- und der Ivendorfer Brücke werden gut angenommen.
Über weitere bereits für Wandbilder und Graffiti genutzte städtische Flächen gibt auch die Vorlage VO/2019/08333 des GMHL [Beantwortung einer Anfrage von Hr. Stolzenberg (Die Unabhängigen) gem. §16 GO: Graffitis und Schmierereien] Auskunft: „In der jüngeren Vergangenheit sind durch den Bereich Stadtgrün und Verkehr schon einige Flächen durch geplante Aktionen bemalt/besprayt worden, z.B.: an den Kinderspielplätzen Pellwormstraße, im Drägerpark, am Großen Bauhof, oder an der Syltstraße. (…) Auf dem neu angelegten Kinderspielplatz Auf der Kuppe wurden Betonwände gezielt für junge Spray-Künstler eingebaut und sind bereits zur Eröffnung am 13.11.2019 besprayt worden. Auf dem Gelände des Sportparks an der Falkenwiese wurde die Kletterwand mit Graffitis versehen. Die Flächen sind aber nicht per se für die Allgemeinheit freigegeben, sondern in Einzelaktionen gestaltet worden.“
Derzeit wird vom Bereich Jugendarbeit an der Umsetzung einer Wand in Buntekuh zum legalen Sprühen von Graffiti gearbeitet. Dabei soll der Standort mehrere Kriterien erfüllen:
- nicht an einer Hauptstraße gelegen
- einigermaßen erhaltene Bausubstanz
- angemessene Größe
- Platz, um sich auch als Zaungast dort aufhalten zu können
- klar ausgewiesene Flächen, um Konflikte zu vermeiden
- genügend Mülleimer.
Zukünftig sollen weitere Flächen erschlossen bzw. frei gegeben werden. Am 31.07.2020 wurden die beiden Wiederlager der Lachswehrbrücke für legales Graffiti freigegeben. Das Burgtor Jugendzentrum veranstaltet gemeinsam mit mehreren jungen Künstlern ein Event, bei dem die Flächen in einer gemeinsamen Performance mit Graffiti gestaltet wurden. Die Freigabe der Flächen erfolgte durch den Bereich 5.660.4, Brückenbau. Als weitere Flächen für Streetart könnten auch Unterführungen miteinbezogen werden, die oftmals als „Angstraum“ wahrgenommen werden. Dies wird in der AG Streetart zusammen mit den hierfür zuständigen Bereichen GMHL und Stadtgrün und Verkehr erarbeitet.
3) Miteinbeziehung von Bürger:innen
Um bei den Bürger:innen die Akzeptanz von Streetart in ihrem Umfeld zu steigern, bietet sich eine Bürger:innenbeteiligung an. Hierfür könnte es öffentliche Aufrufe geben, mit denen man um die Meldung von geeigneten Flächen und Orten gebeten wird; dies könnte auch im Rahmen der Stadtteilkonferenzen geschehen. Diese Flächen könnten in Zusammenarbeit mit Schulklassen, Jugendzentren oder anderen Initiativen gestaltet werden oder auch über Auftragsarbeiten nach dem Vorbild der Wandbilder in Moisling und St. Gertrud (siehe Seite 13/14 im Anhang).
4) kultKIT - Streetart im Deutsch-Dänischen Verhältnis
Hinsichtlich eines stadtweiten Streetart-Projektes ist ebenfalls ein Austausch mit der dänischen Næstved Kommune im Rahmen des Interreg-Projektes kultKIT geplant. An dem Interreg-Projekt kulttKIT ist derzeit der Bereich Schule und Sport beteiligt. Die Næstved Kommune hat mit „Næstved Kunstby“ ein Projekt konzipiert, das sich als langfristige Förderung von Kunst im öffentlichen Raum versteht, wobei die Besonderheit in diesem Fall im Focus auf Urban Art liegt. Konkret hat die Stadt Næstved der internationalen Graffiti- und Hip-Hop-Kultur einen besonderen Status eingeräumt. Alle über die Jahre entstandenen Werke von „Næstved Kunstby“ werden von einer Reihe internationaler Künstler:innen angefertigt, die aufgrund ihrer Bemühungen und ihres Engagements für die Graffitikultur ausgewählt wurden. Hier wurde über Jahrzehnte an einem fruchtbaren Umfeld für die Hip-Hop-Kultur gearbeitet. Die seit 2010 entstandenen Werke namhafter Streetart-Künstler:innen sind über die Stadt verteilt zu besichtigen. Ein Spaziergang eröffnet den Blick auf die Wandarbeiten der verschiedenen Künstler:innen innerhalb der Stadt (siehe https://www.naestvedkunstby.com/).
Für die Auswahl von geeigneten Flächen und die Genehmigung der Nutzung von Flächen wären die Abteilungen Denkmalpflege, Stadtbildpflege, Stadtplanung und das GMHL zu beteiligen bzw. deren Bedarfe zu erfragen, wobei es sich um keine abschließende Aufzählung der zu beteiligenden Bereiche und Abteilungen handelt.
Anmerkungen der Abt. Denkmalpflege aus denkmalfachlicher und –rechtlicher Sicht:
1.
Die Anbringung von Kunst in der in dem Projektbericht beschriebenen Art ist aus denkmalrechtlicher Sicht zu bewerten, wenn die Anbringung
- direkt an/auf einem Kulturdenkmal gem. § 12 DSchG S-H
- im Umgebungsbereich (also im direkten Sichtkontakt) zu einem Kulturdenkmal gem. § 12 DSchG S-H
- in Schutzzonen gem. § 12 DSchG S-H
erfolgt.
Bei der gewünschten Schaffung von „Freiflächen“, sind die o.g. Kriterien zu beachten, um damit den genannten Prüfvorgang möglichst ausschließen zu können. Die Abt. Denkmalpflege stünde grundsätzlich für die Teilnahme an der Vorauswahl solcher Flächen zur Verfügung. Es könnte die Einzelprüfung minimieren oder vermeiden helfen.
2.
Bei der Prüfung der Anbringung von Kunst an baulichen Flächen im Einzelfall würde die Denkmalpflege – abgesehen von der Wahl des Ortes – auch die Materialität des anzubringenden Kunstwerkes ebenso wie die beabsichtigte Dauer der Präsentation bewerten:
Kunstwerke, die mit vergänglichen Materialien (wie z.B. die in den im Projektbericht gezeigten outings aus Papier), die sich rückstandslos nach einer absehbaren Zeit auflösen und Kunstwerke, die für eine konkret terminierte Dauer angebracht werden sollen und danach rückstandslos entfernt werden, können dabei denkmalpflegerisch und denkmalrechtlich einfacher bewertet werden, als Anbringungen mit permanenten Materialien, die auf unbestimmte Zeit am Ort verbleiben sollen.
Die Abt. Denkmalpflege weist darauf hin, dass innerhalb der Innenstadt, die als Welterbeareal einer besonderen denkmalpflegerischen Aufmerksamkeit untersteht, denkmalfachlich deutlich weniger Potential für derartige Gestaltungen gesehen wird, als in den anderen Stadtteilen Lübecks. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ausweisung von Kulturdenkmalen in allen Gebieten der Hansestadt bislang nicht systematisch durchgeführt ist und daher zurzeit keinerlei Aussage über die zu erwartende Menge von noch nicht bewerteten Kulturdenkmalen gemacht werden kann. Nach dem aktuellen DSchG S-H sind Kulturdenkmale bereits existent, auch wenn sie noch nicht durch die Fachbehörde erkannt und benannt wurden. Diese Tatsache birgt für die Auswahl von Freiflächen eine gewisse Unsicherheit, bzw. nach/bei Auswahl von potentiellen Flächen muss umgehend eine Bewertung von Kulturdenkmalen am Objekt und in dem umgebenen Areal durch die Denkmalbehörde erfolgen – wozu derzeit auf Gründen des begrenzt vorhandenen Personals keine Möglichkeit besteht.
Weiteres Verfahren:
Die Verwaltung wird sich weiterhin mit der Thematik auseinandersetzen mit dem Ziel, eine Regelung für das Verfahren zum Umgang mit Streetart bzw. der Vergabe von öffentlichen Flächen hierfür zu finden. Im Ergebnis soll geregelt werden, welche Flächen vergeben und gestaltet werden können, wie mit Anfragen einzelner Künstler:innen und Initiativen umzugehen ist, wie und durch wen bauliche und qualitative Aspekte bewertet werden könnten und für welchen Zeitraum solche Überlassungen möglich wären. Dabei sind neben dem Kulturbüro u.a. die Abteilungen Denkmalpflege, Stadtbildpflege, Stadtplanung und das GMHL zu beteiligen bzw. deren Bedarfe zu erfragen. Der zu entwickelnde Verfahrensvorschlag soll über die Zuständigkeiten sowie über den finanziellen Rahmen Auskunft geben.