Hintergrund:
Es ist vor allem die Knappheit, die zu neuen Ideen zwingt. Nicht nur Wohnraum ist knapp, sondern auch Handelsflächen. Auch in den nächsten Jahren wird von einer steigenden Nachfrage nach Mietimmobilien in der Hansestadt auszugehen sein. Das Bevölkerungs-wachstum hält an. Mehr Einwohner bedeuten auch mehr potentielle Kunden. Um diese zu erreichen zu können müssen die Handelsketten zusätzliche Märkte bauen bzw. bestehende Märkte ausbauen. Das erfordert Platz, der immer rarer wird.
Die großen Discounter haben auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert und planen an ausgewählten Standorten Filialen mit angeschlossenen Wohnungen, Praxen und Büros. Die Handelsketten agieren dabei nicht immer freiwillig, sondern oft auf politischen Druck. Gab es bisher angemietete Geschäfte im Erdgeschoss mehrgeschossiger Wohngebäude sowie einzelne gemischte Projekte, gewinnt die Nachverdichtung zunehmend an Bedeutung.
Die Konzepte der Handelskonzerne sehen vor, Mehrfamilienhäuser auf zentral gelegenen City-Grundstücken zu errichten, auf denen bereits ein Discounter steht. Die vorhandenen Discountergebäude werden abgerissen, durch Neubauten ersetzt und um darauf liegende ein- oder mehrstöckige Wohnblöcke ergänzt. Bei den Projekten sollen einfache, modern und zweckmäßige Bauten mit einem großzügigen Discountmarkt im Erdgeschoss entstehen.
Während Lidl sich am Mietspiegel orientiert sollen die Aldi-Wohnungen günstig vermietet werden. Geplant ist ein Sozialwohnungsanteil von 30%. Selbst in Hamburg und Berlin werden Mieten um die 6,50 Euro kalt pro qm angepeilt. Bei allen anderen Wohnungen gibt es einen Mietpreisdeckel: Maximal 10 Euro kalt werden angestrebt. Diese Miete ist eine Kampfansage für den Wohnungsmarkt in entsprechenden Stadtteilen. Auch Lidl möchte ein gutes Preis-Leistungsverhältnis bieten, orientiert sich aber am Mietspiegel. Aldi profitiert davon, dass viele Grundstücke bereits seit vielen Jahren im Unternehmensbesitz sind.
Ein solches Konzept hätte man auch für den Aldi-Markt in der Ratzeburger Allee mal andenken können, der aktuell umgebaut wird. Eine solche Immobilie, in einer solchen Lage unmittelbar an der Uni gelegen, hätte durchaus das Potential für das neue Konzept gehabt. Mehrere Wohneinheiten hätten alleine dort zusätzlich entstehen können.
Beispiele wo anderswo bereits entsprechende Projekte realisiert wurden:
Die Aldi-Gruppe ist wie so oft auch bei der Nachverdichtung und hybriden Nutzung von Handelsimmobilien ein Vorreiter. Die Aldi-Gruppe ist seit 1961 in Deutschland aktiv, hat heute mehr als 2300 Filialen und ist mit 30,453 Mrd. Euro umsatzstärkster Discounter Deutschlands (Bruttoumsatz, alle Zahlen aus 2017), gefolgt von Lidl mit 23,470 Mrd. Euro. Netto weist 2017 insgesamt 14,363 Mrd. Euro aus, Penny 8,170 Mrd. Euro.
Aldi Nord startet mit mehreren Leuchtturmprojekten in Berlin. Tausende Wohnungen will der Discounter auf die Dächer seiner Filialen setzen. In Berlin-Neukölln und in B-Lichtenberg sollen 200 Wohnungen entstehen. 15 Standorte weitere Standorte in Berlin befinden sich in der Planung. Allein in der Hauptstadt könnten 2000 Wohnungen auf 30 geeigneten Discount-märkten aufgesetzt werden. Das Prinzip ist immer gleich: Unten Einkaufen, oben Wohnen! Die Entwürfe sind unspektakulär: Um 50-60 Wohnungen errichten zu können ist ein sechs-stöckiger Neubau erforderlich. Viele Wohnungen verfügen über einen Balkon und über aus-reichend Parkplätze. Es geht aber auch kleiner: auf den Aldi am Torfmoorkamp in Kiel-Wik wurden 10 Wohnungen in einem dem Eingang abgewandten Bereich aufgesetzt. Es handelt sich um 2-Zimmerwohnungen, die sich über 2 Etagen erstrecken mit jeweils einer Terrasse.
Aldi Süd vermietet schon seit Jahren 43 Wohnungen in Tübingen, die sich über oder neben Aldi-Filialen befinden. In Ballungsräumen wie Köln oder München wurden bereits weitere Filialen in Kombination mit Wohnungen realisiert.
Lidl baut in Hamburg in der Holstenstraße eine Filiale mit Hotel. Im Erdgeschoss befindet sich eine 1300 qm große Lidl-Filiale, in den 5 Stockwerken darüber logieren in 300 Zimmern Hotelgäste. Zudem plant Lidl in einem anderen Hamburger Stadtteil eine Filiale mit einer Kita obendrauf. Dies ist eine Idee, die sich in Stuttgart bewährt hat. In Berlin hat Lidl 2017 bereits 30 Wohnungen auf mehrere Filialen im Stadtteil Prenslauer Berg gesetzt. Am Tegernsee vermietet Lidl 17 Wohnungen in einer Topdestination. Weitere Projekte sind geplant.
Norma hat im Obergeschoss einer Filiale in Nürnberg eine Kindertagesstätte errichtet, Wasserspielplatz auf dem Dach inklusive. Ferner hat die Handelskette auf dem Grundstück auch den Bau von Reihenhäusern und Geschosswohnungen geplant.
Vorteil für die Stadt:
- Würde man das Thema forcieren und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, idealerweise proaktiv Einzelgespräche mit potentiellen Vorhabenträgern führen oder einen
„Discountergipfel“ einberufen mit dem Ziel die Discounter dazu zu bewegen ihre Verkaufs-flächen besser zu nutzen, würde sich eine weitere Option ergeben bezahlbaren Wohnraum sowie Sozialwohnungen zu schaffen.
- Man könnte auch noch einen Schritt weiter gehen: Aktuell laufen bei nahezu allen Dis-countern milliardenschwere Modernisierungsprogramme. Häufig sind die Konzerne auf Baugenehmigungen angewiesen. Angesichts des knappen Wohnraums sind diese immer schwerer zu bekommen. Eine Nachverdichtung und hybride Nutzung der Gebäude könnte eine Lösung sein. Heißt: damit neue Handelsflächen genehmigt werden, müssen die Unternehmen dazu beitragen Wohnraum zu schaffen. Man würde den Handel bei der Stadtentwicklung stärker in die Verantwortung nehmen. Wer kooperiert bekommt leichter geeignete Flächen. Dies muss nicht zwingend ein Muss sein, wäre aber ein gutes Argument.
- Ziel der „Discounter-Strategie“ könnte sein: Lieber Gebäude aufstocken, als Grünflächen verbrauchen und zudem eine Stadt der kurzen Wege schaffen. Im Ergebnis werden die knappe Raum-Ressourcen besser genutzt und einstöckige Supermärkte zum Auslaufmodell.
Vorteil für Discounter
- Die Entwicklung neuer Projekte ist für Unternehmen ein Mittel zur Expansion. Handels-ketten geht es häufig darum Verkaufsflächen zu erweitern. Dem Bedürfnis könnte man ent-gegenkommen. Eine Win-Win-Situation würde sich ergeben, wenn man die Ketten dazu bringt im Gegenzug Wohnungen zu bauen. Für neue Wohnungen gibt´s mehr Fläche. Eine größere Verkaufsfläche bedeutet ein größeres Sortiment, mehr Kunden, mehr Umsatz.
- Mehrgeschossige Handelsimmobilien sind zudem betriebswirtschaftlich effizienter und nebenbei auch näher am Kunden. Wer über einem Lebensmittelmarkt wohnt, kauft dort mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein.
- Viele Grundstücke sind bereits im Besitz der Unternehmen. Sie müssen keine heutigen Mondpreise zahlen. Bau- und Investitionskosten halten sich in Grenzen. Die Objekte können mit bodentiefen Fenstern, breiten Gängen, begrünten Dächern mit Photovoltaikanlage sowie Ladestationen für Elektro-Autos ausgeführt werden. Und alles auf engstem Raum.
- Discounter können sich mit derartigen Projekten letztlich einen Imagegewinn verschaffen.
Vorteil für Mieter:
- Mieter würden vom größeren Angebot an bezahlbarem Wohnraum profitieren. Der Vorteil der kurzen Wege gestattet es Kühlschrank und Lagerflächen übersichtlich zu dimensionieren. Alles was benötigt wird kann jeweils frisch eine Etage tiefer besorgt werden. Die Wohnungen sind extrem einkaufsnah gelegen und verfügen stets über ausreichend Parkplätze.
Fazit:
Insgesamt ließen sich mit derartigen Projekten die Interessen der Stadt an bezahlbarem Wohnraum mit den Interessen der Discounter nach attraktiven Verkaufsstellen unter einen Hut bringen – eine Win-Win-Situation für beide Seiten, von denen auch Kunden profitieren.