Antwort:
Frage 1: Welche Maßnahmen werden bisher von der Hansestadt Lübeck unternommen um produzierendes Gewerbe der Wachstumsbranchen alternative-Antriebstechnologien (E-Mobilität, Wasserstoff etc.), Speichertechnologien, erneuerbare Energie und nachhaltige Ernährung in Lübeck anzusiedeln?
Gezielte Maßnahmen zu Ansiedlungen von Firmen aus den genannten Branchen finden aktuell und aus nachstehenden Gründen nicht statt.
Bislang fehlte der Wirtschaftsförderung Lübeck die nötige wirtschaftliche Kraft für ein aktives Standortmarketing. Die seit 2014 angestrebte Budgeterhöhung wurde im Jahr 2019 mit einem um 580.000 Euro erhöhten Zuschuss gewürdigt. Mit der verspäteten Haushaltsgenehmigung durch das Land konnten die geplanten Mittel jedoch erst ab März 2019 freigegeben werden. Sodann konnten erstmals im Jahr 2019 die nötigen Schritte für ein neues Standortmarketing eingeleitet werden (s. Antwort zu Frage 2).
Dieser Prozess ist momentan in vollem Gange und wird im Laufe des Jahres abgeschlossen werden, sofern die grassierende Epidemie der Planung keinen Strich durch die Rechnung macht. Angesichts bis zum Jahr 2019 fehlender finanzieller Mittel für ein aktives Standortmarketing fanden bis dato keine proaktiven Ansiedlungsbemühungen statt.
Die Entwicklung neuer Gewerbeflächen im „Gewerbepark Lübeck Semiramis“ wird auch seitens der Wirtschaftsförderung in der in Erarbeitung befindlichen Ansiedlungsstrategie berücksichtigt. Abzuwarten ist, wie genau sich die aktuelle Entwicklung auf die Wirtschaft und das Investitionsverhalten auswirken wird. Anzumerken ist jedoch auch hier, dass für die entstehenden Flächen bereits zahlreiche Anfragen ortsansässiger Unternehmen vorliegen. Es ist daher dringend erforderlich, im Rahmen der Neuaufstellung des Flächennutzungsplans und Aufstellung von Bebauungsplänen konkrete Vorsorge für die zukünftige Bereitstellung von Gewerbeflächen zu betreiben.
Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung am Standort Lübeck zeigt die Zunahme der Anzahl der Betriebe in Lübeck mit mindestens einem Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (SvB), die seit 2007 von 5.134 in 2019 auf 5.483 stark angestiegen ist, ein Plus von 349 Betrieben. In der selben Zeit ist die Anzahl der SvB von 79.834 auf 99.053 SvB angestiegen. Das ist ein Plus von rund 20.000 SvB.
Insbesondere die Betriebe der Größenklassen 10 bis 49 Beschäftigte und 50 bis 249 Beschäftigte zeigen ein starkes Wachstum auf und implizieren eine große Flächennachfrage. Auf diese Betriebe entfallen fast die Hälfte aller neu geschaffenen Arbeitsplätze. Ihr Wachstum hat zu dem starken Rückgang der verfügbaren Gewerbeflächen geführt. Dennoch war es nicht immer vermeidbar, dass Betriebe ins Umland abgewandert sind. Im Mittel lag die Nachfrage von diesen Betrieben in Bezug auf die Flächengröße zwischen 5.000 und 6.000 Quadratmetern.
So hat die starke endogene Nachfrage verhältnismäßig viele Ressourcen gebunden und die verstärkte Gewerbeflächenknappheit eine aktive Unternehmensansprache erschwert. Aktuell verfügbar sind zur Zeit ca. 21,6 ha insgesamt (= 5,67 %). Bei Realisierung aller in Verhandlung befindlichen Projekte (ca. 10,9 ha) reduziert sich die Verfügbarkeit auf 10,7 ha (= 2,8%).
Vor diesem Hintergrund liegt der Fokus zunächst auf den ansässigen Unternehmen, um Flächen für Wachstum zur Verfügung zu stellen und den Wirtschaftsstandort Lübeck attraktiv für Arbeits- und Fachkräfte zu halten.
Deutlich mehr als 80% der vergebenen Flächen wurden von Lübecker Unternehmen nachgefragt. Prominente Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit dazu sind SLM Solutions oder Coherent.
Ferner ist zu beobachten, dass Ansiedlungen im Bereich der E-Mobilität konzerngetrieben sind und Standorte in strategischer Nähe zu bestehenden Werken der etablierten Automobilhersteller gewählt werden. Der neue Standort, z.B. für das Batteriewerk von CATL bei Erfurt, kann sowohl die BMW-Werke in Bayern als auch von Porsche und BMW in Leipzig, die Produktion von Opel / PSA in Thüringen sowie von VW in Niedersachsen und Tschechien sowie Tesla in Brandenburg sehr gut versorgen.
Frage 2: Ist die Hansestadt Lübeck auf Messen der entsprechenden Branchen präsent um aktiv für den Wirtschaftsstandort Lübeck zu werben? Welche Mittel werden für das Standortmarketing in diesen Bereichen aktuell aufgebracht?
Die Wirtschaftsförderung Lübeck GmbH ist jährlich auf der Expo Real in München auf einem Gemeinschaftsstand von Schleswig-Holstein mit einem eigenem Messeauftritt (in Partnerschaft mit KWL) sichtbar. Die Expo Real ist Europas größte Messe für Immobilien und Investitionen. Dort sind branchenunabhängig bzw. -übergreifend die größten und relevantesten Projektentwickler und Investoren vertreten. Es wird auf verschiedenen Ebenen für den Standort Lübeck geworben und intensive Gespräche und Verhandlungen werden mit Entwicklern und Investoren geführt.
Ohne eigenen Stand ist die Wirtschaftsförderung Lübeck GmbH zudem regelmäßig auf der Nortec in Hamburg (Produktionsfachmesse für den Norden), zuletzt im Januar 2020 vertreten. Bezüglich erneuerbarer Energien wird die WindEnergy in Hamburg (internationale Ausrichtung) im jährlichen Wechsel mit der HUSUM Wind in Husum (nationale Ausrichtung) besucht. Hinzu kommen die zahlreichen Aktivitäten von logRegio und foodRegio für die Logistik- und Ernährungswirtschaft.
Das Thema Standortmarketing hat aus budgetären Gründen in den vergangenen Jahren leider eine untergeordnete Rolle spielen müssen und wurde stadtseitig von der LTM ausschließlich für das Thema Tourismus und MICE (Meeting, Incentives, Conferences, Events) bzw. Kongress- und Tagungstourismus besetzt. Durch die Budgeterhöhung für die Wirtschaftsförderung wird das Thema derzeit unter Federführung der Wirtschaftsförderung Lübeck GmbH neu aufgerollt. So findet derzeit ein Markenprozess für den Wirtschaftsstandort Lübeck statt, bei dem gemeinsam mit der Verwaltung, der LTM sowie relevanten Branchenvertretern, Unternehmen, den Hochschulen sowie weiteren Stakeholdern ein Markenkern für den Wirtschaftsstandort Lübeck zur Positionierung erarbeitet wird. Der Prozess soll im Juni abgeschlossen sein, erste Marketingmaßnahmen sollen nach der Sommerpause starten. Durch die Corona-Pandemie wird sich der Prozess jedoch nach hinten verschieben. Begleitet wird die Wirtschaftsförderung bei dem Prozess von der Brandmeyer Markenberatung aus Hamburg. Für das Standortmarketing sind momentan ca. 400.000 Euro eingeplant. Das sind Maßnahmen für die Schaffung der Grundlagen für ein erfolgreiches Standortmarketing sowie die Steigerung der Sichtbarkeit des Standort Lübecks (national und international) für Fachkräfte und Unternehmen/Investoren im Sinne der Ansiedlung.
Frage 3: Welche Wachstumschancen bestehen, angesichts des zunehmenden gesellschaftlichen Umdenkens, für Lübecks Wirtschaft im Rahmen von Verkehrs-, Energie- und Agrarwende?
Mit den Branchen Gesundheitswirtschaft, Ernährungswirtschaft und Logistikwirtschaft ist Lübeck im Vergleich zu anderen Standorten krisenfester aufgestellt, weil diese „systemrelevant“ sind, größtenteils auch eine hohe Wertschöpfung sowie attraktive Arbeitsplätze bieten und zukunftsfähig sind. In diesen Branchen finden knapp 38.000 Menschen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Nimmt man nun noch die auch relativ krisenfeste Branche Digitalwirtschaft mit mehr als 6.000 SvB hinzu, konzentrieren sich 43% aller SvB am Wirtschaftsstandort Lübeck auf diese Branchen. Das bedeutet für einen Wirtschaftsstandort wie Lübeck, dass wir angesichts der aktuellen Entwicklungen ein starkes „Grundrauschen“ für regelmäßige Beschäftigung haben.
Wie steht es nun um die Wachstumschancen für die Branchen Verkehr (Logistik), Energie und verarbeitende Industrie agrarwirtschaftlicher Produkte?
Die Themen Energie (plus Recycling) und Verkehr sind für Lübeck durchaus relevant. Allein im Energie- und Recycling Sektor ist die Beschäftigung seit 2007 um 20% auf rund 2.200 SvB angewachsen. Am Standort selbst gibt es 10 Betriebe, die zu dieser Branche zählen; Im Wesentlichen aber ist Lübecks Energiewirtschaft durch einen großen Arbeitgeber geprägt. Die TH-Lübeck hat vor ca. 10 Jahren ein Wasserstoff-Kompetenzzentrum betrieben, das anscheinend seiner Zeit voraus war und mangels Nachfrage nicht weitergeführt wurde.
An der TH-Lübeck gibt es das Fachgebiet für Elektromobilität und Leistungselektronik (EMLE), das als Forschungsgruppe Erneuerbare Energien und eMobilität (EEeM) im Juli 2012 von Prof. Dr. Tiedemann an der Technischen Hochschule Lübeck gegründet wurde.
Am 01. November 2019 wurde aus der Forschungsgruppe Erneuerbare Energien und eMobilität das Fachgebiet für Elektromobilität und Leistungselektronik der Technischen Hochschule Lübeck. Um die Energie- und Mobilitätswende effizient mitgestalten zu können, vernetzt das Fachgebiet EMLE überregional und interdisziplinär Kompetenzen in den Bereichen Elektrotechnik, Leistungselektronik, Antriebstechnik, Mikroprozessortechnik sowie Recht und
Wirtschaft. Des Weiteren unterstützt das Fachgebiet EMLE die Energie- und Mobilitätswende mit anwendungsorientierten Forschungsprojekten aus Industrie und Wirtschaft.
Die Kooperation zwischen Stadtwerke-Konzern und TH-Lübeck bietet in diesem Kontext sicherlich Entwicklungschancen. Das EnergieCluster Digitales Lübeck entwickelt zusammen mit der Hansestadt Lübeck die Modellregion einer intelligent vernetzten, nachhaltigen Stadt. Damit ist die Basis für eine zukunftsgerichtete Entwicklung gelegt und der Erfolg hängt im Wesentlichen von den handelnden Akteuren ab.
Für den Bereich Verkehr liegen für Lübeck bei der Wirtschaftsförderung keine ausgewiesenen Zahlen zugrunde. Das Thema Verkehr wird unter dem Oberbegriff subsummiert. Wobei die Logistikbranche aktuell wieder leicht über dem Niveau von 2007 liegt, plus 150 SvB und plus 15 Betriebe.
Für die Logistikwirtschaft etwa sind neue Antriebsmodelle für LKW (Elektrifizierung) oder Fähren (Hybridantriebe) zu nennen. Mit dem e-Highway zwischen Lübeck und Reinfeld ist für e-LKW eine Teststrecke ausgewiesen, die Chancen für Forschung & Entwicklung bietet. Hier ist die TH-Lübeck mit ihrem „Kompetenzzentrum Logistik und Produktion“ ein verlässlicher Partner für die lokale Wirtschaft.
Im Bereich der innerbetrieblichen Logistik sind Struktur- und Prozessoptimierungen mit zum Teil erheblichen Rationalisierungspotentialen möglich. In der zwischenbetrieblichen Logistik sind mit schlanken Supply Chains ebenfalls oft erhebliche positive Effekte in Bezug auf Kosten, Zeit und Transparenz zu erzielen. Aber auch in der Produktion selbst sind durch Verschlankung und Konzentration auf wertschöpfende Tätigkeiten in Fertigung und Montage oft noch große Rationalisierungspotentiale zu erschließen.
Vor diesem Hintergrund analysiert, konzipiert und realisiert das Institut "Logistik und Produktion" der Technischen Hochschule Lübeck für die Industriepartner der regionalen Wirtschaft praxisnahe Lösungen und leistet einen hohen Beitrag zum Kundenerfolg. Die Clusterinitiative logRegio e.V. ist ein kompetenter Partner für Netzwerkarbeit und Kommunikation sowie Bindeglied zur TH-Lübeck. Durch die von logRegio regelmäßig geplanten Veranstaltungen wie z.B. Logistikforen oder das Azubi-Rotationsprogramm wird ein wesentlicher Beitrag zur betriebsübergreifenden Innovation geschaffen. Aber auch hier hängt der Erfolg immer wieder von den handelnden Personen ab.
Wie sich die Agrarwende auf Lübeck auswirken wird, ist momentan nur schwer einschätzbar. Die lebensmittelverarbeitenden Betriebe, wie z.B. die Cerealien-Hersteller, sind davon sicherlich mehr betroffen. In diesem Kontext bietet das Cluster foodRegio e.V. seit vielen Jahren eine sehr gute Hilfestellung für betriebliche Innovation, die durch die Universität zu Lübeck und die TH-Lübeck im Bereich der Ausbildung sowie den Bereichen Forschung & Entwicklung unterstützt werden.
Das Wachstumspotential für die genannten Branchen zum jetzigen Zeitpunkt zu beziffern, fällt schwer und ist angesichts dieser besonderen Lage unseriös. Viele lebensmittelproduzierende Betriebe fahren aktuell unter Volllast. Grundsätzlich ist zunächst einmal davon auszugehen, dass der Standort Lübeck durch die systemrelevanten Branchen vergleichsweise geringere Folgen zu erwarten hat. Das schließt aber nicht aus, dass die besonders gebeutelten Branchen Tourismus, Handel, Hotel und Gaststättengewerbe einen bislang ungeahnten Angebotsrückgang verzeichnen wird und dadurch neue Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort Lübeck entstehen.
Als Hochschulstandort ist Lübeck mit der Universität, der Technischen Hochschule Lübeck, dem Fraunhofer EMB, der Akademie für Hörakustik, der Initiative „BioMedTeck Campus“ sowie weiteren Einrichtungen am Campus (Institute und Kompetenzzentren der Hochschulen sowie TZL, fabLab oder Gründercube), die ihrerseits Innovationen und technologische Entwicklungen vorantreiben, gut aufgestellt, um auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren und Lösungen zu entwickeln.
Eines jedoch ist sicher, die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, stellen einige Geschäftsmodelle infrage und bieten gleichzeitig die Chance Neues auszuprobieren.