Seit Anfang Juni 2023 laufen die Bergungsarbeiten des rund 400 Jahre alten Hanseschiffs in der Lübecker Trave. Rund 450 Schiffshölzer, 80 Fässer mit Branntkalk sowie Alltagsgegenstände, die vom Leben an Bord erzählen, wurden bisher geborgen. Nach und nach, mit jedem weiteren Stück, gibt das Wrack seine Geschichte preis – und die scheint einzigartig zu sein! Denn schon jetzt deutet sich an, dass die Bauweise des Schiffs sich nicht mit bisher bekannten Funden im Ostseeraum vergleichen lässt.
Die seit Anfang Juni laufenden Bergungsarbeiten am Schiffswrack selbst sind fast abgeschlossen. Sehr gute Sichtbedingungen und nur wenige witterungsbedingte Ausfalltage ermöglichten ein rasches Fortschreiten der Arbeiten. Im Rahmen eines heutigen Presse-Termins wurde als letztes Wrackteil das rund 5,2 Meter lange Ruderblatt geborgen und die neuesten Erkenntnisse vorgestellt. Lediglich die rund um das Wrack verstreut liegenden Fässer und Hölzer gilt es jetzt noch zu bergen.
„Überraschend zügig sind die Bergungsarbeiten am Wrack fortgeschritten. Die gute Zusammenarbeit mit Wasser- und Schifffahrtsamt, Lübeck Port Authority und Lotsendienst ermöglichen ein nahezu durchgängiges Arbeiten an allen Wochentagen“, dankt Kultursenatorin Monika Frank allen an der Bergungsaktion beteiligten Organisationen.
„Erstaunlich ist, wie viele Informationen zum Schiff, seiner Bauweise, dem Umfang der Ladung und den Verhältnissen an Bord jetzt schon vorliegen. Gespannt blicken wir auf die weiteren Analysen zur Herkunftsbestimmung der Hölzer. Möglicherweise wurde das Schiff gar in Lübeck gebaut und bietet damit ein authentisches Beispiel für die Bedeutung Lübecks als Hafen- und Werftstandort in Mittelalter und früher Neuzeit“, so Dr. Dirk Rieger, Leiter des Bereichs Archäologie und Denkmalpflege in der Hansestadt Lübeck.
„Es ist spannend, immer wieder mit dem Bergungs- und dem Landteam zu diskutieren, welche Details unter Wasser und an den geborgenen Hölzern schon abzulesen sind. Professionalität und Effizienz prägen den Arbeitsalltag – ob über oder unter dem Wasser. Diese kooperative Zusammenarbeit beschleunigt die Abläufe und lässt schneller als gedacht erste Erkenntnisse zu“, betont Dr. Ingrid Sudhoff, Leiterin der Abteilung Archäologie des Bereichs Archäologie und Denkmalpflege in der Hansestadt Lübeck.
„Durch die beispielhafte Zusammenarbeit aller Beteiligten Institutionen und Partner nähern sich die Unterwasserarbeiten bereits der Zielgraden und werden in den nächsten Tagen zum Abschluss kommen. Mich persönlich freut besonders, dass wir mit dem Wrackfund eine im Ostseeraum bislang einmalige Bauweise identifizieren konnten. Damit darf das Schiff schon jetzt als einzigartiges Zeugnis frühneuzeitlicher Schiffsbaukunst bezeichnet werden“, so Dr. Felix Rösch, Koordinator der Wrackbergung und Unterwasserarchäologe des Bereich Archäologie und Denkmalpflege in der Hansestadt Lübeck.
Keine typische Bauweise für den Ostseeraum
Während das Heck gut erhalten ist, sind große Teile des Bugs vollständig zerstört. Die Länge des Kiels mit 17,2 Metern und die Länge des längsten Deckbalkens von 5,15 Metern ermöglichen eine Rekonstruktion der Schiffslänge auf ca. 21 bis 23 Meter und eine Breite von 5,5 bis 6 Metern. Besonders auffällig ist dabei die hohe Spantendichte. Zudem konnten drei Anker, zwei Bug- und ein Heckanker, sowie heute das rund 5,2 Meter lange Ruderblatt geborgen werden.
Diese Funde zeigen, dass es kein, wie ursprünglich angenommen, flachbodiges Schiff ist, sondern dass es in Bodenbauweise errichtet wurde und einen ausgezogenen Kiel besaß. Der gesamte Schiffsbauch war für die Ladung vorgesehen. Kajüten und Deckshäuser befanden sich über der Ladung im Heck oder auf dem Achterdeck. Dafür sprechen auch die im Heckbereich aufgetretenen Funde wie zum Beispiel Flachglas, dass wohl von der Fensterverglasung stammt.
Soweit bisher erkennbar, besaß das Schiff sicher zwei Masten, anzunehmen ist auch ein dritter Mast im Bugbereich, welcher jedoch aufgrund der starken Zerstörung zurzeit dort noch nicht eindeutig nachweisbar ist. Die nachgewiesenen anderen Masten befanden sich mittschiffs und im Heckbereich, wie die vorhandenen Mastschuhe anzeigen.
Aufgrund dieser ersten Erkenntnisse kann schon jetzt die Aussage getroffen werden, dass der Schiffstyp von den bisher für die im Ostseeraum bekannten Varianten stark abweicht. Zudem wurde das Schiff auch nicht wie die zeitgenössischen niederländischen Vorbilder für das Wattenmeer gebaut. Die Archäologen vermuten, dass es im Lübecker Raum unter niederländischer Beeinflussung gebaut worden sein könnte, aber auch die Niederlande selbst und Skandinavien kommen als Bauort in Frage.
Bis zu 90 Tonnen Ladung rekonstruierbar
80 Fässer mit Branntkalk befanden sich noch auf dem Schiff in ursprünglicher Position. Diese sind komplett geborgen und werden jetzt an Land dokumentiert. Bei den mehr im Sediment verborgenen Fässern sind teilweise noch Reste des Fassholzes wie Dauben, Deckel bzw. Böden und Reifen erhalten.
Die Fässer hatten eine standardisierte Größe von 72 Zentimeter Länge, bei einem Bauchumfang von 60 cm und einem Gewicht von durchschnittlich ca. 300 Kilogramm. Das bisher ermittelte Höchstgewicht liegt bei 330 Kilogramm. Das Volumen beträgt etwa 200 Liter. Insgesamt lässt sich anhand der Funde eine Ladung von mindestens 60 bis 90 Tonnen rekonstruieren. Weiteren Aufschluss erhoffen sich die Archäologen nach der Bergung von mindestens 80 weiteren Fässer, die jetzt noch in der Fahrrinne liegen.
Leben an Bord
Die Alltagsfunde konzentrieren sich auf den Heckbereich des Schiffes, wo sich daher wohl auch die Kajüten von Mannschaft und Kapitän befanden. Scherben von einfachem Geschirr wie etwa Dreibeingefäßen, sogenannte Grapen, und Jütepötte, aber auch verzierten Fayencegefäßen, also dem „guten Geschirr“, geben Aufschluss über das Leben an Bord. Insbesondere Reste von hochwertigen Wein- und Schnapsflaschen lassen einen Rückschluss auf das gesellschaftliche Gefüge, den Ess- und Trinkgewohnheiten der Seeleute zu.
Dokumentation der Funde an Land
An Land werden die geborgenen Wrackteile gereinigt, gescannt und detailliert dokumentiert. Die Hölzer werden für eine Alters- und Herkunftsbestimmung beprobt und von einem Dendrochronologen untersucht. Auch das weitere Fundmaterial wird beprobt, um durch Spezialuntersuchungen weitere Informationen zu erlangen. Nach der Aufnahme und Dokumentation erfolgt bei den Kleinfunden die notwendige Restaurierung.
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