Vorlage - VO/2019/06994  

Betreff: Die Unabhängigen: Housing First
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsstelle der Fraktion Die Unabhängigen Bearbeiter/-in: Burgdorf, Claudia
Beratungsfolge:
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Entscheidung
31.01.2019 
5. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck an Verwaltung / Ausschuss zurück verwiesen   
Ausschuss für Soziales zur Vorberatung
05.03.2019 
6. Sitzung des Ausschusses für Soziales in der Wahlperiode 2018/2023 abgelehnt   
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Entscheidung
28.03.2019 
7. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zurückgezogen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n

Beschlussvorschlag

Der Bürgermeister wird beauftragt, ein Konzept zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu erarbeiten, dass sich an dem Projekt Housing First in Berlin orientiert.  Hierzu soll eine Steuerungsgruppe eingerichtet werden, die unter Federführung der Verwaltung, unter Beteiligung aller Bürgerschaftsfraktionen und der Zivilgesellschaft (hier institutionelle und private Obdachlosenhilfe) entsprechende Vorschläge erarbeitet. Dabei ist eine angemessene Beteiligung der Öffentlichkeit sicherzustellen.

 


Begründung

I. Vorbemerkung:

 

1. Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Laut Aussage der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) waren 2016 insgesamt etwa 860.000 Menschen ohne Wohnung. Im Vergleich zum Jahr 2014 habe sich die Zahl damit um 150 Prozent erhöht.

Grundsätzlich gilt als wohnungslos, wer keine dauerhafte Wohnung hat und stattdessen in Unterkünften lebt, in denen der Aufenthalt zeitlich begrenzt ist. Dementsprechend sind in dieser Statistik auch Flüchtlinge in entsprechenden Unterkünften berücksichtigt. Ließe man diese außen vor, wäre immer noch ein Anstieg um 25 Prozent von 335.000 auf 420.000 in den vergangenen zwei Jahren zu verzeichnen.

Zur erfolgreichen Reduzierung von Obdachlosigkeit gibt es mittlerweile erprobte Konzepte, die in anderen Ländern und Städten bereits erfolgreich praktiziert werden. Seit Anfang der 90er Jahre wird der konzeptionelle Ansatz Housing First“ in zahlreichen Ländern und vor allem großen Städten erfolgreich zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit bei Obdachlosen eingesetzt. So auch im Herbst letzten Jahres in Berlin. Lübeck kann von den Erfahrungen anderer Städte und Länder, die die Obdachlosigkeit nach dem Konzept Housing First erfolgreich bekämpfen profitieren und sich an den dortigen Erkenntnissen orientieren.

 

2. Bekämpfung von Wohnungslosigkeit mit Housing First

a) Kerngedanke der Projektidee Housing First ist ein „Recht auf Wohnen“ ohne Vorbedingungen. Im Gegensatz zu herkömmlichen betreuten Wohnformen entkoppelt Housing First das Mietverhältnis vom Unterstützungsangebot und setzt für das Beziehen der eigenen Wohnung keine Bewährung in stufenweise vorangehenden Hilfemaßnahmen und keine Bereitschaft zu Abstinenz, Therapie, beruflicher Eingliederung oder anderen vereinbarten Hilfezielen voraus. Die Adressat*innen erhalten unmittelbar einen Wohnraum mit einem eigenen Mietvertrag. Gleichzeitig macht ein multiprofessionelles Projektteam ein ständiges offensives Angebot zum Kontakt, zur vielfältigen individuellen Unterstützung und zur Anbindung an andere verfügbare Unterstützungssysteme.

Housing First arbeitet mit der Erfüllung des Grundbedürfnisses nach einem sicheren Zuhause, welches die Basis für eine Regeneration der Selbsthilfekräfte und die Aktivierung der vorhandenen Ressourcen darstellt.

Zielgruppe sind vor allem langjährig wohnungslose Menschen mit komplexen psychischen Problemen und Suchterkrankungen. Sie scheitern in den herkömmlichen Stufen - Hilfeangeboten (z.B., weil sie nicht dauerhaft an anspruchsvollen Hilfezielen jenseits des Wohnens mitwirken können) und /oder fallen durch die Schnittstellen der Hilfesysteme. Über die Nutzung der niedrigschwelligen Hilfesysteme hinaus verursachen sie hohe gesellschaftliche Kosten, u.a. durch medizinische und polizeiliche Notfalleinsätze, durch Aufenthalte in Krankenhäusern, Psychiatrie, Strafvollzug und stationären Einrichtungen.

 

b) In zahlreichen Evaluationen sind mittlerweile die positiven Wirkungen des Ansatzes belegt. Nach einer von der EU -Kommission finanzierten Studie aus 2013 konnte in 80 bis über 90% aller Fälle das Hauptziel des dauerhaften Wohnungserhalts erreicht werden (Projekte in Amsterdam, Glasgow, Kopenhagen und Lissabon); in den meisten Fällen zeigten sich positive Entwicklungen bei psychischen Erkrankungen sowie Drogenmissbrauch und traten insgesamt deutliche Verbesserungen der persönlichen Lebensqualität ein.

Der Housing First Guide Europe konstatierte 2016 eine ähnlich hohe Quote der dauerhaften Beendigung von Wohnungslosigkeit z.B. für Projekte in Norwegen (93%), Schweden (84%) und Österreich (98,3%) (s. Pleace, 2016).

(Quelle: Housing First Berlin, Kurzkonzept, Stand 21.09.2018, S.2; https://www.housingfirstberlin.de/wp-content/uploads/2018/09/Housing-First-Berlin- II. 

 

II. Kernelemente des Konzepts Housing First:

 

Konzept:  Um die Obdachlosigkeit zu beenden, zielt die Projektidee auf eine direkte Versorgung mit eigenem Wohnraum ab. So sollen die Voraussetzungen für eine persönliche Stabilisierung geschaffen werden. Die Teilnehmer*innen erhalten ein flexibles Unterstützungsangebot, das alle Lebensbereiche erfasst und speziell auf die Motivation der Betroffenen ausgerichtet ist.

 

Zielgruppe:  Es sollen obdachlose Menschen erreicht werden, die bislang von den vorhandenen Regelangeboten nicht effektiv erreicht werden beziehungsweise bereits Angebote erfolglos in Anspruch genommen haben. Sie müssen in der Lage sein, über Transferleistungen die Miete aufzubringen. Sie sollen bereit sein, mit dem Team zusammen zu arbeiten.

 

Das Team:  In dem Projekt Housing First arbeitet ein multiprofessionelles Team arbeitsteilig zusammen. Zum Betreuungsteam gehören Sozialarbeiter*innen (erfahrene Fachkräfte, die vor allem für das Fallmanagement zuständig sind), Sozialhelfer*innen (z.B. Hauswirtschaftskräfte, die vor allem die konkrete Unterstützung im Wohnbereich übernehmen) und Peer Group Workers (Menschen mit eigener Biographie von Obdachlosigkeit, die ihre besonderen Erfahrungen und Beziehungsangebote einbringen).

 

Der Wohnraum: Das Projekt akquiriert für die Teilnehmer*innen geeignete Wohnungen auf dem Lübecker Wohnungsmarkt. Vermieter und Hausverwaltungen erhalten über das Projekt zusätzliche finanzielle Sicherheiten und die Gewähr einer hoch flexiblen und effektiven Mieterbetreuung.

 

 


Anlagen