Vorlage - VO/2019/06984  

Betreff: Schaffung einer kommunalen Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senator Sven Schindler
Federführend:2.021 - Fachbereichs-Dienste Bearbeiter/-in: Mühleis, Michael
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Ausschuss für Soziales zur Kenntnisnahme
05.02.2019 
5. Sitzung des Ausschusses für Soziales in der Wahlperiode 2018/2023 zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
Hauptausschuss zur Kenntnisnahme
12.02.2019 
10. Sitzung des Hauptausschusses zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Kenntnisnahme
28.02.2019 
6. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck geändert beschlossen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n

Beschlussvorschlag

 

Antrag BM Lothar Möller in der Bürgerschaftssitzung am 30.08.2018, VO/2018/06277:

 

Der Bürgermeister wird beauftragt, bis zur Januar-Sitzung 2019 zu berichten, ob und wie eine kommunale Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft für die Hansestadt Lübeck geschaffen werden kann.

Ziel der Gesellschaft soll sein:

  • Beratung von Arbeitssuchenden, insbesondere Langzeitarbeitslosen und Migranten
  • Konkrete Beschäftigungsangebote
    • a) als zusätzliche und gemeinnützige Tätigkeit,
    • b) nach einer längstens zusätzlichen und gemeinnützigen Tätigkeit von 12 Monaten eine - zumindest nach dem Mindestlohn entlohnten - Tätigkeit von 12 Monaten oder aus begründetem Anlass 24 Monaten Tätigkeit. Diese Tätigkeit muss auch sozialversicherungspflichtig sein.
  • Kooperation mit Ausbildungsträgern zur Schaffung von Ausbildungsplätzen für Mangelberufe wie z.B. Altenpflegerin/Kranken- und Gesundheitspflegerin und auch Helferinnen Tätigkeiten, die eine Weiterbildung verlangen. Hiermit werden zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Das sollte auch für sozialpädagogische Berufe gelten. Hierbei sollten Kinderbetreuung und alleinerziehende Eltern eine Beachtung finden. Es sollte hierbei auch auf eine berufsbegleitende Ausbildung bzw. auf Teilzeitangebote für den Klientel-Kreis geachtet werden.


Weiterhin sollte(n)

  • in allen Teilen eine Kooperation mit möglichen Partnern stattfinden: Jobcenter, Handwerk, Wirtschaft (einschl. der Kammern) und gemeinnützigen Trägern.
  • mögliche Gesellschaftsformen wie eine gGmbH ebenfalls geprüft werden.
  • rechtliche Rahmenbedingungen / erforderliche Finanzmittel zur Errichtung bzw. Eingliederung in bestehende Gesellschaften (BQL) aufgezeigt werden.

 

Zielgruppen: Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit, Migrantinnen und Migranten, Alleinerziehende, Menschen die nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sind, aber wieder eine wertschöpfende Tätigkeit ausüben wollen.

  • Möglichkeit der Tätigkeiten, sowie gemeinnützig und zusätzlich als auch sozialversicherungspflichtig, in und außerhalb der Hansestadt (Soziale /gemeinnützige Träger u. ä.)

 

 


Begründung

 

Vorbemerkungen

Die Verwaltung hat sich in den vergangenen Jahren bereits mehrfach intensiv mit der Thematik öffentlich geförderter Beschäftigung und dem sog. Passiv-Aktiv-Tausch befasst, zuletzt beispielsweise in 2016/2017 mit den Vorlagen VO/2016/03809 und VO/2016/04290. Im Ergebnis sind die Bemühungen, entsprechende Strukturen zur Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze zu etablieren, jedoch in der Vergangenheit immer an der Frage der Finanzierbarkeit gescheitert, da entsprechende Förderprogramme nicht aufgelegt waren und die Hansestadt Lübeck keine neue freiwilligen Aufgaben übernehmen durfte. Dies hat sich nun mit der Einführung des § 16i SGB II zum 01.01.2019 geändert.

Das neu aufgelegte arbeitsmarktpolitische Instrument richtet sich an arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose, die seit langem Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch - SGB II beziehen und ohne Unterstützung absehbar keine realistische Chance auf Aufnahme einer Beschäftigung haben.

Die Förderung wird vom Jobcenter als Zuschuss zum Arbeitgeber-Brutto für eine Dauer von längstens fünf Jahren gewährt und beträgt in dieser Zeit durchschnittlich 88%. Die Kriterien Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse sind dabei keine Fördervoraussetzung mehr, wie in der Vergangenheit. Soweit entsprechende Tarifverträge anzuwenden sind, werden die entsprechenden Tariflöhne anstelle des Mindestlohns erstattet.

Erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen können gefördert werden, wenn sie das 25. Lebensjahr vollendet haben, für insgesamt mindestens sechs Jahre innerhalb der letzten sieben Jahre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch erhalten haben und sie in dieser Zeit nicht oder nur kurzzeitig sozialversicherungspflichtig oder geringfügig beschäftigt oder selbstständig tätig waren.

Während der gesamten Dauer der geförderten Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis erfolgt ein begleitendes Coaching. Darüber hinaus kann der Arbeitgeber einen Zuschuss zu den notwendigen Weiterbildungskosten der Beschäftigten von insgesamt bis zu 3.000 Euro je Person erhalten.

Zielgruppen

Die im v.g. Antrag aufgeführten Zielgruppen können erreicht werden, soweit sie die o.a. Fördervoraussetzungen erfüllen.

Gesellschaftsform und rechtliche Rahmenbedingungen

Ungeachtet der nachfolgenden Überlegungen sollte im weiteren Verfahren aber auch noch geprüft werden, ob die direkte Anstellung von Arbeitnehmer*innen insbesondere aus dem Förderprogramm nach § 16i SGB II bei der Hansestadt Lübeck eine sinnvolle und wirtschaftliche Variante darstellen könnte.

Die Gründung einer neuen Gesellschaft dürfte im Gesamtergebnis unwirtschaftlich sein, da die gesamte interne organisatorische Struktur neu aufgebaut werden müsste. Hinzu kommt, dass das Förderprogramm zum 01.01.2025 wieder außer Kraft tritt. Es müsste daher für einen befristeten Zeitraum mit einem hohen Einsatz von Ressourcen eine Organisation geschaffen werden, die danach wieder abzuwickeln wäre, wenn das Förderprogramm nicht verlängert oder durch andere Instrumente ersetzt oder ergänzt wird, was sich derzeit nicht absehen lässt.

Sinnvoller wäre es, eine schon bestehende Gesellschaft mit der Durchführung zusätzlich zu betrauen. Die BQL (Berufsausbildungs- und Qualifizierungsagentur Lübeck GmbH) wäre dem Grunde nach von der Ausgangslage und Aufgabenstellung her dafür geeignet, auch wenn der Bereich Recht hierzu noch eine eingehendere Prüfung anregt, ob ggf. der Gesellschaftszweck der BQL angepasst bzw. erweitert werden müsste. Zudem könnten die schon vorhandenen fachlichen Kompetenzen in der beruflichen Integration sowie die etablierten Netzwerke und Kooperationen gewinnbringend in eine Beschäftigungsgesellschaft eingebracht werden. Das betreffende Geschäftsfeld ist dabei für die BQL kein Neuland; es wurden in der Vergangenheit u.a. die Projekte „Bürgerarbeit“ (2011-2014) und „BIWAQ“ (2012-2014) erfolgreich durchgeführt.

 

Der Verfahrensablauf im Förderprogramm nach § 16i SGB II könnte sich wie folgt gestalten:

Da eine direkte Inhouse-Vergabe aufgrund der Beteiligungsstruktur der BQL (50% Hansestadt Lübeck und 50% Vorwerker Diakonie gGmbH) nicht in Betracht kommt, müsste die Hansestadt Lübeck - soweit auch sie Leistungen von der BQL abnehmen möchte - diese unter den Erleichterungen des § 118 des Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen beschränkt auf bestimmte Auftragnehmer (sog. Sozialunternehmen) ausschreiben.

Denkbar und sinnvoll wäre dabei der Abschluss eines globalen Rahmenvertrages über die Inanspruchnahme von Dienstleistungen in einem bestimmten Umfang, aus dem sich dann konkrete Einzelaufträge ableiten lassen würden.

 

Finanzielle Rahmenbedingungen

Die Förderung der Arbeitsgelegenheiten selbst ist für die Kommune unter Einbeziehung der ersparten Kosten der Unterkunft annähernd kostenneutral, wie sich aus der nachfolgenden Modellberechnung bei einer vergleichbaren Eingruppierung nach TVöD ergibt:

Modellrechnung auf der Basis Entgeltgruppe 3 Stufe 1 TVöD und einer Laufzeit von 60 Monaten

Monatlicher Tariflohn (brutto)

2.201,29€

Jahres-Arbeitnehmer-Brutto

26.415,48 €

Jahres-Arbeitgeber-Brutto

31.698,58 €

Arbeitgeber-Brutto in der Laufzeit

158.492,88 €

Summer der Förderung des Jobcenters in der Laufzeit

139.473,73 €

Verbleibt ein Gesamtzuschussbedarf von

19.019,15 €

Durchschnittlicher Zuschussbedarf jährlich

3.803,83 €

abzüglich jährlich ersparter Kosten der Unterkunft (ohne Bundesanteil)

- 2.892,00 €

Jährlicher durchschnittlicher budgetrelevanter Zuschussbedarf

911,33 €

 

Neben den in der Modellrechnung dargestellten eigentlichen Personalkosten fallen weiterhin Personalnebenkosten als Sach- und Gemeinkostenanteile an, die in der nachfolgenden Aufstellung anhand der Empfehlungen der KGSt (KGSt®-Bericht Nr. 09/2018) zusammengestellt wurden:

 

Kostenarten

Nebenkosten eines Arbeitsplatzes - Jahreswerte

Büroarbeitsplatz

Nicht-Büroarbeitsplatz

Sachkosten

9.700,00 €

10 % der Personalkosten

3.169,86 €

bei informationstechnischer Unterstützung zuzüglich

3.450,00 €

 

Gemeinkosten

20 % der Personalkosten

6.339,72 €

15 % der Personalkosten

4.754,79 €

Gesamtkosten

16.039,72 €

7.924,65 €

bzw. bei IT-Unterstützung 11.377,65 €

 

Diese Werte stellen lediglich Empfehlung für die Veranschlagung von Durchschnittwerten dar und werden in der Praxis erfahrungsgemäß deutlich niedriger liegen.

Einsatzfelder

Mögliche Einsatzfelder im Rahmen des Beschäftigungsprogrammes zeichnen sich bei der Kommune derzeit insbesondere in den Bereichen Schule, Kindertageseinrichtungen, VHS und Jugendarbeit (beispielsweise pädagogische und IT-Assistenz, Hausmeisterdienste, Grün- und Außenflächenflächenpflege, Inventuren) aber auch in den Lübecker Museen (Assistenz und Zuarbeit im Außenbereich) sowie im Baubereich (beispielsweise Gebäudereinigung und Gartenbaubereich) ab.

Aber auch außerhalb dieses Programmes könnte auch auf schon bestehende Fördermöglichkeiten des Jobcenters - wie Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II - die Förderung von Arbeitsverhältnissen nach § 16e SGB II oder Integrationsmaßnahmen für Geflüchtete zurückgegriffen werden, um zusätzliche Beschäftigungsangebote zu schaffen.

Kosten

Die für die Hansestadt Lübeck anfallenden Kosten für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen im Rahmen der dargestellten Förderprogramme müssten im Einzelfall unter Berücksichtigung des jeweiligen Förderweges sowie der Art und Weise der möglichen Eingliederung in den kommunalen Geschäftsbetrieb (siehe hierzu auch die Aufstellung der Personalnebenkosten im Abschnitt „Finanzielle Rahmenbedingungen“) von der Beschäftigungsgesellschaft kalkuliert werden und lassen sich daher an dieser Stelle nicht pauschal darstellen.

Für einen ersten groben Richtwert kann man jedoch davon ausgehen, dass ein jährlicher Betrag von rund 6.400 € pro Arbeitnehmer*in im Förderprogramm nach § 16i SGB II zur Kostendeckung seitens der BQL erhoben werden müsste. Zusammen mit dem durchschnittlichen jährlichen Lohnkostenzuschussbedarf von 911,33 € ergäbe sich damit bei rund 1.600 Jahresarbeitsstunden ein kalkulatorischer Stundensatz von ca. 4,57 €. Im Vergleich dazu müsste man bei einer direkten Anstellung durch die Hansestadt Lübeck ohne die Inanspruchnahme der Förderung nach den für 2019 gültigen Personalkostendurchschnittswerten einen Stundensatz von 29,86 € veranschlagen.

Zusammenstellung der Kosten ohne interne Sach- und Gemeinkostenanteile

Jährlicher durchschnittlicher budgetrelevanter Zuschussbedarf

911,33 €

Jährlicher administrativer Aufwand der BQL für die Dienstleistungserbringung

6.400,00 €

Jährlicher Gesamtaufwand je Arbeitsplatz

7.311,33 €

 

Projektierung

Das Jobcenter Lübeck hat bereits im vergangenen Jahr damit begonnen, den Bestand der dort gemeldeten Langzeitarbeitslosen nach denjenigen Kund*innen zu durchsuchen, die als Zielgruppe für die Förderung nach § 16i SGB II in Betracht kommen. Da das Gesetz mit seinen konkreten Förderbedingungen erst am 17.12.2018 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Derzeit sind aber schon rund 200 Personen als potenziell anspruchsberechtigt identifiziert worden.

Da davon auszugehen ist, dass die potentiellen Arbeitnehmer*innen aus der Zielgruppe nicht ohne entsprechende intensive Vorbereitung in den Arbeitsprozess integriert werden können, müsste der eigentlichen Beschäftigung eine mehrwöchige Phase der Potentialanalyse und Aktivierung vorgeschaltet werden. Parallel hierzu wären die Coachingbausteine für die Begleitung während der aktiven Beschäftigungsphase zu entwickeln und zu zertifizieren.

Da die Dauer der Förderung in allen Programmen grundsätzlich zeitlich befristet ist, sollten zudem im Sinne von Nachhaltigkeit und Verstetigung gemeinsam mit der Kommune Ansätze entwickelt werden, die auf eine Anschluss- oder Weiterbeschäftigung nach dem Ablauf der Förderperiode abzielen.

Die Projektsteuerung sollte auf der städtischen Seite wie auch schon bei den Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II sowie den beendeten Projekten „Bürgerarbeit“ und „BIWAQ“ zentral bei den Fachbereichsdiensten im FB 2 angesiedelt werden.

Für eine weitergehende Prüfung und ggf. Umsetzung der Maßnahme wäre ein entsprechender Beschlussantrag in das politische Gremienverfahren einzubringen.

 

 


Anlagen

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