Vorlage - VO/2018/06765  

Betreff: Anfrage der BM Antje Jansen: Verbindlichkeit der subjektiven Bedarfsanmeldung - Objektivierung des Betreuungsbedarfes in der Kindertagespflege
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsstelle der FREIE WÄHLER & GAL Fraktion Bearbeiter/-in: Schulz, Jens-Uwe
Beratungsfolge:
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Entscheidung
29.11.2018 
4. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
31.01.2019 
5. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Kenntnis genommen / ohne Votum   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n

Beschlussvorschlag

  1. Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgt die Objektivierung des von Eltern angemeldeten subjektiven Betreuungsbedarfes in der Kindertagespflege (KTP)?
  2. Auf welcher rechtlichen Grundlage sind die damit verbundenen ungleichen Bewilligungsmodalitäten von Betreuungsumfängen in der KTP und Kindertageseinrichtungen (Krippe und Kita) begründet und zulässig?
  3. Ist die Objektivierung des von Eltern angemeldeten subjektiven Betreuungsbedarfes in der KTP durch die Verwaltung mit Blick auf die jüngsten höchstrichterlich Rechtsprechung (siehe Begründung zur vorliegenden Anfrage) in Lübeck weiterhin rechtlich zulässig? Wenn ja, warum?

 


Begründung

Die Stadt Lübeck erfüllt den Rechtsanspruch auf U-3 und Ü-3 Betreuung von Kindern über

  1. Kindertageseinrichtungen (Krippe/Kindergarten)
  2. Kindertagespflege

Beide Betreuungsangebote sind per Gesetz gleichrangige Angebote gemäß § 22 SGB VIII. Die Verwaltungspraxis in Lübeck sieht nach Informationen, die die Fraktion der Freien Wähler & GAL von betroffenen Eltern, Kindertagespflegepersonen (KTPP) und dem Verbund Kindertagespflege erhalten hat,[1] jedoch in Bezug auf das Themenfeld „Bewilligung von Betreuungsumfängen“ anders aus:

Wenn Eltern in Lübeck ihren Rechtsanspruch auf Ü-3/U-3 Betreuung anmelden, können sie dies machen, indem sie sich um einen Krippen-/Kitaplatz bemühen. Dort erhalten sie dann – je nachdem, was die Kitas für Zeiten „im Angebot“ haben, eine Vollzeitbetreuung inkl. flexibel dazu buchbare Früh- und Spätbetreuung (oder aber einen z.B. Halbtagsplatz, wenn es diesen im Angebot einer Krippe/eines Kindergartens noch gibt und der auch der subjektiven Bedarfsanmeldung entspricht).

Ausschlaggebend für den Betreuungsumfang eines Vollzeitplatzes und auch einer optionalen Ergänzung um Früh- und/oder Spätbetreuung in Krippe/Kita ist in der Stadt Lübeck grundsätzlich allein die subjektive Bedarfsanmeldung der Eltern, wie es auch das Gesetz in § 24 Abs. 2, S.1  SGB VIII vorsieht.

In der Regel bekommen also die Eltern in Krippe/Kita eine Betreuungszeit von rund 40-45 Stunden als Standardmodell der Betreuung. Dieser Betreuungsumfang bleibt für die gesamte Zeit, in der das betreffende Kind in der Krippe/Kita ist, unverändert bestehen (es sei denn, die Eltern melden einen reduzierten subjektiven Betreuungsbedarf an und können auf einen ggf. freien Halbtagsplatz wechseln).

Entscheiden sich Eltern dagegen für eine Betreuung in der KTP oder weichen dorthin aus, weil es keinen freien Krippen-/Kitaplatz gibt, erhalten sie:

  • einen „Grundbetreuungsumfang“ von 25 Wochenstunden(Rechtsanspruch) bewilligt. Zudem wird
  • der bewilligte Betreuungsumfang davon abhängig gemacht, welche Arbeits- und Wegezeiten von den Eltern nachgewiesen werden. Die angegebenen Wegezeiten werden dabei von der Verwaltung über z.B. google-maps-Angaben überprüft und anhand der so online recherchierten Angaben ggf. nach unten korrigiert bzw. festgesetzt (Objektivierung des von den Eltern angemeldeten subjektiven Betreuungsumfanges).
  • Wenn Mütter von Kindern in der KTP erneut schwanger werden, wird der zuvor bewilligte Betreuungsumfang auf den Grundbetreuungsumfang von 25 Std. ab Beginn und für die Zeit der Elternzeit reduziert, sofern hier die Eltern während der Elternzeit nicht weiter arbeiten.
  • Wenn Eltern mehr als die bewilligten Betreuungsstunden entgegen der Verwaltungseinschätzung für notwendig erachten, wird diese subjektive Bedarfsanmeldung der Eltern von der Verwaltung nur anerkannt, wenn die Eltern eine von ihnen dazu einzuholende Bestätigung über den „pädagogischen Mehrbedarf“ vom Jugendamt (Fackenburger Allee Lübeck) vorlegen können.

Es stellen sich vor diesen Hintergründen daher die o.g. Fragen 1-3.

Denn für einen Krippen-/Kitaplatz ist – gesetzeskonform - die subjektive Bedarfsanmeldung der Eltern die Grundlage für bewilligte Vollzeitbetreuungsplätze.

In der Kindertagespflege dagegen werden die subjektiven Bedarfsanmeldungen von der Verwaltung “objektiviert“,  d.h. die Verwaltung entscheidet nach Prüfung der Arbeits- und Wegezeit der Eltern, ob dem von den Eltern angemeldeten subjektiven Betreuungsbedarf entsprochen werden kann oder ob weniger Betreuungsstunden, als von den Eltern als notwendig erachtet, bewilligt werden.

Entgegen dieser Verwaltungspraxis in Lübeck gibt es Gerichtsurteile/-beschlüsse, nach denen eine solche Objektivierung von subjektiven Bedarfsanmeldungen nicht zulässig sei. So entschieden das Bundesverfassungsgericht und das Sächsische Oberverwaltungsgericht 2017 und 2018, dass es nicht rechtens ist, wenn die Erforderlichkeit einer Betreuung anhand der Arbeitszeiten der Eltern geprüft und entscheiden wird, vgl. höchstrichterliche Rechtsprechung BVerwG, Urt. V. 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16-, juris Rn 41, Link:  https://www.bverwg.de/de/261017U5C19.16.0  in Verbindung mit dem Beschluss des OVG Sachsen von 2018, Az: 4 B 134/18  5 L 85/18, Link: https://www.justiz.sachsen.de//ovgentschweb/documents/18B134.pdf), Rn. 6, 7). Der Betreuungsumfang werde vielmehr allein durch den individuellen Bedarf bestimmt, den grundsätzlich die Eltern des betreffenden Kindes festlegen. Eine Objektivierung des angemeldeten subjektiven Betreuungsbedarfes der Eltern ist nicht zulässig und kann „(...) allein durch das Wohl des zu betreuenden Kindes begrenzt (...)“ werden, vgl. OVG Sachsen, Az: 4 B 134/18  5 L 85/18, Link: https://www.justiz.sachsen.de//ovgentschweb/documents/18B134.pdf), Rn. 3, 6, 7.

 


[1] Informationen entstammen dem Ergebnisprotokoll vom 06.09.2017 „Treffen von Hansestadt Lübeck/ Verbund Kindertagespflege/ Verein Kindertagespflege  Lübeck e.V./ Verein Verbund Kindertagespflegepersonen e.V", Punkt 5, 9, 18, Berichten von Kindertagespflegepersonen und Eltern mit Kindern in der Kindertagespflege, Verbund Kindertagespflege.


Anlagen